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Hamburg: Russisch-ukrainische Familie streitet um die Wahrheit – „Wieso jammert ihr die ganze Zeit?“

Hamburg: Russisch-ukrainische Familie streitet um die Wahrheit – „Wieso jammert ihr die ganze Zeit?“

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Eine Frau weint in einem kleinen Keller eines Hauses, in dem viele Menschen Schutz vor russischen Luftangriffen suchen. Foto: picture alliance/dpa/AP

„Ich will nur hier sitzen und weinen“, sagt Anna aus Hamburg traurig. Sie ist verzweifelt. Ihre Cousine sitze mit ihren zwei kleinen Kindern in einem Keller in Kiew fest und komme dort nicht weg. Ein erster Fluchtversuch in Richtung Westen scheiterte an einem russischen Angriff auf den Bahnhof. Seit dem 25. Februar harre sie dort nun schon aus, gemeinsam mit ihrem Mann, den Kindern und 13 weiteren Personen.

Anna ist 34, wohnt seit 10 Jahren in Hamburg, hat selbst ein kleines Kind und weiß nicht mehr weiter: „Es geht mir schlecht, ich kann mich auf der Arbeit kaum konzentrieren und habe keinen Appetit mehr.“ Um sich psychisch nicht zu sehr zu belasten, habe sie sich ein Limit gesetzt – jeden Tag nur noch 30 Minuten Nachrichten, ein kurzes Update zu den neuesten Geschehnissen müsse reichen.

Hamburg: Die Familie ist gespalten

Doch auch der Kontakt zu ihrer Familie sei sehr belastend. Als wäre die Sorge um ihre Cousine nicht schon schlimm genug, meldete sich vor einiger Zeit eine weitere Verwandte aus Russland bei den beiden.

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Ukraine und Russland im Vergleich:

  • Die Ukraine hat rund 41,8 Millionen Einwohner und eine Fläche von 576.800 Quadratkilometern (jeweils abzüglich der von Russland annektierten Krim)
  • Mit einem Bruttoinlandsprodukt von 155 Milliarden US-Dollar lag die Ukraine im Jahr 2020 auf Platz 58 der Welt
  • Die Russische Föderation hat eine Bevölkerungszahl von rund 146,8 Millionen sowie eine Fläche von 17.102.344 Quadratkilometern (jeweils mit der annektierten Krim)
  • Das Bruttoinlandsprodukt lag im Jahr 2019 bei 1.702 Milliarden US-Dollar und damit auf dem weltweit elften Platz

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„Wieso jammert ihr denn die ganze Zeit? Das ist doch alles nicht so schlimm. Das ist nur westliche Propaganda“, habe die russische Cousine den beiden vorgeworfen. Anna ist fassungslos über die Worte ihrer Verwandten aus Russland und denkt an ihre andere Cousine, die in Todesangst im Keller sitzt.

Doch die zwei trifft es noch härter: „Noch schlimmer ist, dass die Mutter meiner Cousine in Kiew russisches Fernsehen schaut und alles glaubt, was dort erzählt wird. Dabei ist sie in Kiew – sie müsste nur aus dem Fenster schauen.“ Annas ukrainische Cousine und dessen Mutter würden kaum noch miteinander sprechen. Die Familie sei gespalten.

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Inmitten von Bomben, Angst und Zerstörung führt ihre Familie einen zweiten Krieg – gegen propagierte Ideale und falsche Informationen innerhalb der Familie. Für Diskussionen fehle ihr langsam die Kraft, doch glücklicherweise habe sie in ihrem Freundeskreis nur Freunde und Bekannte, die gegen Putin sind, erzählt sie.

Hamburg: „Solange ich sprechen kann, werde ich sprechen“

Annas Eltern, die ebenfalls in Russland leben, teilen hingegen die Ansichten ihrer Tochter und positionieren sich ebenfalls klar gegen Putin. Offiziell äußern wollen sie ihre Meinung aber nicht. „Ich habe Angst“, sagt Anna.

Sie fürchtet, dass ihren Eltern etwas zustoßen könne, wenn sie ihre Haltung im Internet öffentlich mache. Auch sie wäre nun vorsichtiger geworden, hielte sich mit ihrer Meinung im Internet zurück und wolle ihren ganzen Namen auch hier lieber nicht nennen.

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Trotz Angst und Verzweiflung blicke sie aber nach vorne. Hier in Hamburg habe sie eine Wohnung, die sie geflüchteten Ukrainern zur Verfügung stellen wolle. Am liebsten würde sie dort natürlich ihre Cousine aufnehmen, doch solange sie nicht fliehen kann, solle eine andere geflüchtete Familie dort unterkommen.

Wenn sie Zeit finde, gehe sie außerdem auf Demonstrationen und protestiere gegen den Krieg. „Solange ich sprechen kann, werde ich sprechen und solange ich etwas dagegen tun kann, werde ich das tun.“