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Hamburg: Mann (34) tötete seine Großmutter auf Wunsch hin – nun wurde er freigesprochen

Ein 34-Jähriger, der seine schwer kranke Großmutter laut Anklage auf ihren Wunsch hin tötete, ist am Mittwoch in einem Hamburger Prozess freigesprochen worden.

Hamburg
© Rabea Gruber/dpa

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„Freispruch“ nach Paragraph 20 des Strafgesetzbuches, lautete das Urteil im Hamburger Amtsgericht St. Georg nach nur einem halben Verhandlungstag. Die vorsitzende Richterin bestätigte Manuel L. (35) Schuldunfähigkeit, weil er zum Tatzeitpunkt wegen einer seelischen Erkrankung und seiner vielschichtigen, persönlichen Umstände nicht steuerungsfähig war. Damit schloss sie sich der Beurteilung eines psychiatrischen Gutachters an.

Der arbeitslose Security-Mann, der mal in einem Krankenhaus gearbeitet hatte, musste sich wegen Tötung auf Verlangen verantworten. Er hatte seiner 72-jährigen, schwerkranken Großmutter im Juli letzten Jahres in ihrer Wohnung zum Suizid verholfen. „Sie waren selbst akut suizidal, deshalb ist dieser Fall so besonders“, sagte die Richterin bei ihrer Urteilsverkündung. „So etwas haben wir hier nicht so oft. Sie befanden sich in einem psychischen Ausnahmezustand. Sie haben hier erhebliche Aufklärungsarbeit geleistet. Ihre Ausführungen waren glaubhaft.“

Hamburg: Angeklagter erzählt ausführlich alles

Nachdem Manuel L. in Handschellen aus der U-Haft in den Gerichtssaal geführt wurde und die Staatsanwältin die Anklage verlesen hatte, erzählte er ausführlich, wie es zu diesem verhängnisvollen Nachmittag im Juli gekommen war. Dabei wurden die tragischen Hintergründe seiner ganzen Familiengeschichte deutlich. Zum Tatzeitpunkt hatte er alles in seinem Leben verloren.

Mehrere enge Familienmitglieder waren bereits wegen Drogenmissbrauchs gestorben. Sein Onkel sei in einem Park erfroren. Seine drogenabhängige Mutter, die mit 14 Jahren heroinsüchtig wurde, konnte ihn nicht großziehen, gab Manuel zu Oma und Opa. Irgendwann fand er seine Mutter tot in deren Wohnung, wo die Leiche schon Wochen unbemerkt gelegen hatte. Dann sei der Opa an Corona und Demenz gestorben. Seine Oma sei an der Lungenkrankheit COPD erkrankt, hatte zudem schwere Herzprobleme und einen Tumor in der Brust. Seine ehemalige Lebensgefährtin verweigerte ihm den Kontakt zu den drei gemeinsamen Kindern.

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Das war alles zu viel für Manuel L., der selbst über Jahre mit eigenen Drogenproblemen zu kämpfen hatte. Er war abhängig von diversen Drogen. „Meine Oma wollte nicht in einer Klinik sterben“, erzählte er vor Gericht. Das konnte er nachvollziehen, da er durch seine frühere Tätigkeit in einem Krankenhaus selbst mitbekommen habe, „wie schlimm es dort zugeht“. Seit Mitte 2021 lebte er bei seiner Oma und betreute sie rund um die Uhr. „Sie war 24 Stunden an ein Sauerstoffgerät angeschlossen und hatte große Angst zu ersticken“, erzählte er. „Zwei Jahre lang sagte sie immer wieder, sie wolle zu Hause sterben, auf keinen Fall im Krankenhaus. Zuletzt sagte sie, dass sie nicht mehr kann.“

Hamburg: „Sie wollte unbedingt sterben“

Einen Pflegedienst verweigerte die Oma. Alles lastete auf den Schultern ihres Enkels. Als es ihr immer schlechter ging, konnte sie sich nicht mal mehr ein Brot schmieren. „Sie saß nur noch im Sessel vorm Fernseher oder lag im Bett“, berichtet Manuel L. „Ich musste mich um alles kümmern, war total überfordert. Morgens holte ich mir mein Methadon aus der Ambulanz ab (eine Ersatzdroge, d. Red.), dann ging ich einkaufen und war für Oma da.“

Eines Tages hatte Manuel mehrere Gramm Heroin besorgt. „Meine Oma hat in ihrem Sessel einen Abschiedsbrief verfasst“, erzählt Manuel L.. „Im Kopf war sie ganz klar. Sie wollte unbedingt sterben.“


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Er gab ihr Tabletten und kochte das Heroin auf. Die Oma habe es sich selbst gespritzt. Er habe ihr aber dabei geholfen. „Meine Hände haben gezittert und meine Beine wurden weich“, sagt er. „Beim Injizieren wurde Oma ganz duselig.“ Danach verabreichte er sich selbst Heroint sowie Tabletten in Selbstmordabsicht.

Doch es klappte nicht. Als er einen Tag später aufwachte, war er nackt, nur mit einer Shorts bekleidet und fand sich in einer großen Blutlache wider. Er hatte sich im Rausch selbst schwerste Schnittverletzungen an Armen, Beinen und an seiner Kehle zugefügt. Mit letzter Kraft rief er den Rettungsdienst. „Es war eine Kurzschlussreaktion“, sagte er zur Richterin. Dass er herzzerreißende Abschiedsbriefe an seine Kinder geschrieben hatte, konnte er nicht mehr erinnern. Darin stand: „Trauert nicht, ich bin immer in euren Herzen für euch da.“

Trotz des Freispruchs wurde Manuel L. mit Handschellen aus dem Gericht zurück in die U-Haft geführt. Dort sitzt er wegen eines ganz anderen Tatvorwurfs.

>>Anmerkung der Redaktion
Zum Schutz der betroffenen Familien berichten wir normalerweise nicht über Suizide oder Suizidversuche, außer sie erfahren durch die Umstände besondere Aufmerksamkeit.
Wer unter Stimmungsschwankungen, Depressionen oder Selbstmordgedanken leidet oder jemanden kennt, der daran leidet, kann sich bei der Telefonseelsorge helfen lassen. Sie ist erreichbar unter der Telefonnummer 0800/111-0-111 und 0800/111-0-222 oder im Internet auf www.telefonseelsorge.de. Die Beratung ist anonym und kostenfrei, Anrufe werden nicht auf der Telefonrechnung vermerkt.