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Hamburg: Mann findet plötzlich seine eigene Todesanzeige – es ist der Beginn eines unvorstellbaren Albtraums

Was zwei Hamburger erleben, lässt einem das Blut in den Adern gefrieren. Jetzt haben sie sich an MOIN.DE gewendet und erzählen, was ihnen passiert.

Hamburg
© privat

Die fünf krassesten Hamburger Kriminalfälle

Seine Augen sind wässrig. Leer. Er richtet seinen Rücken kurz ein Stück auf. Gerade so weit, dass er Blickkontakt aufnehmen kann. In Mr_Mansithes Blick liegt tiefe Hoffnungslosigkeit. Seine Worte untermauern diesen Ausdruck: „Wir haben keine Kraft mehr“. Seine Stimme bricht. Schnell senkt er den Blick wieder und sein Körper fällt zurück in sich zusammen. Es herrscht Stille im Hamburger Büro der MOIN.DE Redaktion.

Ryu, die neben ihm sitzt schaut von ihm weg. Sie richtet ihren Blick nun geradeaus, streicht sich entschlossen eine blaue Haarsträhne aus dem erschöpften Gesicht. Trotz Entschlossenheit zittert ihre Stimme: „Die Gesundheit von Körper, Psyche genauso wie das soziale und berufliche Umfeld leiden derart, dass wir nicht mehr von einem Leben sprechen können, das uns bleibt. Wir haben jegliche Freiheit im Alltag verloren.“ Was die beiden Hamburger seit 2019 erleben müssen, ist für die meisten unvorstellbar. Sie wenden sich nun an unsere Redaktion und damit erstmals an die Öffentlichkeit. Sie zeichnen ein düsteres Bild von gefälschten Todesanzeigen, Nazi-Vorwürfen und eines verstörenden Pornos.

Hamburg: Unbekannter Hater zerstört ihr ganzes Leben

Mehrere Tränen fließen als Ryu und Mr_Mansinthe (Wir verwenden ihre Künstlernamen, um sie zu schützen. Klarnamen sind der Redaktion bekannt) erzählen, was ihnen ein unbekannter Hater im Internet antut. Der Albtraum beginnt 2019. Im Netz kursiert plötzlich eine Todesanzeige von Mr_Mansinthe. Der weiß gar nicht, wie ihm geschieht.

+++ Hamburg: Unbekannter terrorisiert Hilflose – und führt sogar die Polizei an der Nase herum +++

Mr_Mansinthe ist Künstler, extravagantes Szenenmodel und hat sich durch das Teilen seines Gothic-Lifestyles über Jahre hinweg eine hohe Reichweite aufgebaut, mit der er auch andere motiviert und zu kreativem Austausch anregt. Auch das spätere Mitopfer Ryu lernt ihn dadurch kennen. Heute zählt sie zu seinem engsten Kreis.

Beleidigungen und Hass prasseln seit 2019 im Internet auf Mr_Mansithe ein. Daraus werden Angriffe durch YouTube-Videos und Website-Einträge, die auch sein direktes Umfeld beleidigen. Die verletzenden Beiträge werden trotz Meldungen an Facebook, Instagram und Co. teils bis heute nicht gelöscht. Noch immer befinden sich die beiden jungen Menschen aus Hamburg gefangen in einem Albtraum – und der wird zunehmend heftiger.

Hamburg: Gefälschter Porno kursiert im Netz

2021 ein weiterer Schock: Der Täter steigert sein Verhalten plötzlich drastisch. Massenhaft Fake-Profile im Namen von Ryu und Mr_Mansinthe kursieren auf sämtlichen Plattformen. Retuschierte Bilder, Videos, Nachrichten – das Internet ist voll von unechten Postings der beiden Hamburger. Sogar unzählige Domains werden für den Zweck erstellt und auf sämtlichen Plattformen, sowie in den sozialen Medien massenhaft verbreitet.

Die Vorwürfe gegen Mr_Mansinthe im Netz sind willkürlich: Er sei ein verurteilter Kinderschänder, Vergewaltiger, Entführer, ein Nazi und Ryu seine minderjährige Prostituierte. Es gibt derzeit über 150 Websites, Fake-Profile, Plattformeinträge. Besonders verstörend: Es kursiert ein Porno im Netz, in das der Hater Ryus und Mr_Mansithes Gesichter mithilfe einer Video-App eingefügt hat.


Das ist Cybermobbing:

  • Cybermobbing beschreibt das absichtliche Bedrohen, Belästigen oder Beleidigen einer Person über das Internet.
  • Cybermobbing fällt unter Cyber-Kriminalität und stellt eine Form der psychischen Gewalt dar.

Hamburg: Erschreckende Verdrehung der Tatsachen

Mr_Mansinthe trägt während des Interviews eine Lederjacke mit aufgenähten Patches. In den sozialen Medien postete er ein Bild von sich in dieser Jacke – harmlos. Doch der Hater entstellte das Bild. Er bearbeitete es so, dass die Patches auf dem gefälschten Bild Hakenkreuzsymbole abbilden – Mr_Mansinthe wird als Neonazi dargestellt. Ein völlig entstelltes Bild der Realität wird erschaffen.

Ryu und Mr_Mansinthe kommt viel Hass entgegen. Hass von allen Seiten. Auf der Straße haben sie oft Angst vor Anfeindungen. Viele Menschen haben sich von ihnen abgewandt. Sie haben Aufträge verloren. Eine Last, die für die Psyche wohl kaum zu ertragen ist.

Mr_Mansinthe
Mr_Mansinthe ist Künstler, extravagantes Szenenmodel und hat sich durch das Teilen seines Gothic-Lifestyles über Jahre hinweg eine hohe Reichweite aufgebaut. Foto: privat

Hamburg: „Gesetze dürfen im Internet nicht nur Theorie sein“

Ryu wird es 2021 endgültig zu viel. Sie geht zur Polizei. Doch von der fühlt sie sich zu diesem Zeitpunkt nicht ernstgenommen. Für Hilfseinrichtungen wie „Der weiße Ring“ und Organisationen gegen Hass im Netz übersteige der Fall die Kapazitäten. Sie schicken sie zurück zur Polizei. Ryu fühlt sich hilflos, alleingelassen, ohnmächtig. „Gesetze dürfen im Internet nicht nur Theorie sein!“, sagt sie gegenüber MOIN.DE entschieden. Der Hater bricht jegliche Gesetzte: von Urheberrecht bis üble Nachrede und Verleumdung. Und dagegen scheint nichts unternommen zu werden. Die Polizei Hamburg ist mittlerweile an dem Fall dran und bestätigt auf MOIN.DE-Anfrage ein laufendes Ermittlungsverfahren.


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Ryu und Mr_Mansinthe haben sich bewusst entschieden an die Öffentlichkeit zu gehen. In der Hoffnung, doch endlich die Hilfe zu bekommen, die sie benötigen. Die beiden brauchen einen Anwalt im Bereich Cyber-Crime, doch dazu fehlen ihnen die finanziellen Mittel. „Der Täter macht sich zahlreicher Straftaten haftbar, Anonymität darf kein Schutz davor sein!“, sagt Ryu.

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Ryu und Mr_Mansithe sind Opfer von Cyber-Crime. Foto: privat

Ryu und Mr_Mansinthe sind am Ende des Interviews erschöpft, ausgelaugt. Es ist kräftezehrend alles, was ihnen angetan wird in Worte zu fassen und die Fassung zu wahren. Es zerrt an ihren Kräften, die ihnen mehr und mehr ausgehen. Kräfte, die sie aber auf ihrem Weg zur Gerechtigkeit immer und immer wieder bündeln müssen.

>>Anmerkung der Redaktion

Wer unter Stimmungsschwankungen, Depressionen oder Selbstmordgedanken leidet oder jemanden kennt, der daran leidet, kann sich bei der Telefonseelsorge helfen lassen. Sie ist erreichbar unter der Telefonnummer 0800/111-0-111 und 0800/111-0-222 oder im Internet auf www.telefonseelsorge.de. Die Beratung ist anonym und kostenfrei, Anrufe werden nicht auf der Telefonrechnung vermerkt.