Ende März sorgte das Thema Frauen-Waggons in den Hamburger Medien erstmals für Furore. Doruntina Bajraktaraj startete eine Petition für Frauen-Waggons im HVV – der Grund: Frauen sollen sich im ÖPNV sicherer fühlen! 38.015 Menschen (Stand 15. Juli) unterzeichneten die Petition – ein klares Zeichen.
Doch die Hochbahn hält nichts von Frauen-Waggons. Sie würden das falsche Signal senden – nämlich, dass Frauen nur in diesem abgegrenzten Bereich sicher sind. Aber muss ein einflussreicher Schutz abgelehnt werden, nur weil er nicht die Höchstforderung erfüllt?
Hamburg: Alle zwei Minuten wird in Deutschland eine Frau Opfer von Gewalt
Die Hochbahn argumentiert gegen die Frauen-Waggons mit Mobilität, die niemanden ausschließt. Alle Menschen seien willkommen – egal welcher Herkunft oder Religion, welchen Alters, sexuellen Orientierung und eben: egal welches Geschlechtes. „Dazu gehört in der Konsequenz auch, Männer nicht unter Generalverdacht zu stellen und aus Zug-Bereichen auszugrenzen“, heißt es im „Hochbahn-Blog„. Aber was sagen die Zahlen?
Wie Bajraktaraj selbst in ihrer Petition auflistet, lag die Zahl der Sexualdelikte 2023 in Zügen und Bahnhöfen bei schlappen 1.898. Die Opfer sind, nicht überraschend, zu 90 Prozent Frauen. Dass die Gewalt gegen Frauen in Deutschland weiter zunimmt, zeigt auch das Lagebild „Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten 2023“.
Die große Mehrheit der Tatverdächtigen bei Sexualstraftaten mit weiblichen Opfern ist männlich. Bei Vergewaltigung, sexueller Nötigung und sexuellen Übergriffen sind 98,9 Prozent der Verdächtigen Männer. Auch bei sexueller Belästigung liegt ihr Anteil bei 98,7 Prozent. Bei sexuellem Missbrauch von Kindern, Jugendlichen und Schutzbefohlenen ab 14 Jahren sind es 95,5 Prozent.
Also ja, vermutlich sind viele männliche HVV-Fahrgäste friedlich – aber woher soll ich wissen, wer von den Männern zu den „guten“ gehört? Vielleicht ist es nicht fair, alle Männer unter Generalverdacht zu stellen – aber es ist auch nicht fair, dass alle zwei Minuten eine Frau in Deutschland Opfer von Gewalt wird. Wir müssen unsere Augen offen halten, wir müssen uns schützen. Fakt ist: Wir Frauen haben zu Recht Angst – und unsere Sicherheit muss gefördert werden.
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Hamburg: Zivilcourage Fehlanzeige
Die Entscheidung gegen die Frauen-Waggons hat laut der Hochbahn auch einen praktischen Grund: Viele U-Bahnen seien auf 40 Meter durchgängig begehbar. Dadurch entstehe eine helle, offene Atmosphäre, in der man sich als Fahrgast direkt sicherer fühle. So würden kaum „tote Winkel“ entstehen, in denen ein Übergriff unbemerkt bleiben würde – und wenn doch, könne man sich Ernstfall immer auch über viele Reihen hinweg bemerkbar machen. Doch wie garantiert ist die Zivilcourage der anderen Bahnfahrer?
Doruntina Bajraktaraj selbst beschreibt in ihrer Petition, dass ein Fahrgast sie zur Seite schubste und beleidigte. „Alle schauen, aber kaum jemand reagiert“ – und das in einer vollen Bahn. Auch ich habe die Erfahrung gemacht, dass im Ernstfall niemand hilft. Schon zahlreiche Male wechselte ich bewusst den Platz, um unangenehmen Blicken und Ansprech-Versuchen zu entgehen. Männern zu entgehen, die sich unsittlich berühren, während sie mich anstarren.
Und außerdem: Muss es erst so weit kommen? Ist der Anspruch an Sicherheit, dass es kaum tote Winkel gibt, dass der Übergriff zumindest nicht unbemerkbar bleibt?
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Fakt ist: Mehr als 50 Prozent der Frauen meiden nachts den ÖPNV. Das Bundeskriminalamt und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) haben bereits vor zwei Jahren eine Studie vorgestellt, wonach mehr als die Hälfte der Frauen nachts nicht in öffentliche Verkehrsmittel steigen, weil sie sich unsicher oder sogar bedroht fühlen. Weder ich noch meine Freundinnen fahren nachts U- oder S-Bahn in Hamburg. Wir investieren lieber Extra-Geld in ein Moia – zu groß ist die Angst, alleine in der meist leeren Bahn zu sitzen und womöglich verfolgt zu werden.
Während die Hochbahn darauf setzt, ihr Sicherheitskonzept weiter auszubauen (Sicherheitspersonal aufstocken, KI einsetzen) tragen Frauen-Abteile in anderen Ländern wie Tokio bereits erfolgreich zu mehr Sicherheit bei. Natürlich bieten Frauen-Waggons keine hundertprozentige Sicherheit im öffentlichen Raum – das bleibt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Bis es aber soweit ist, wären sie durchaus eine Lösung, um Frauen vor Gewalt zu schützen. Wie es auch Bajraktaraj sagt: „Es soll nicht der Ersatz für ein Gesamtkonzept sein, sondern ein Zusatz.“