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Kiel: Diese Frauen durchlebten Unvorstellbares – hier teilen sie ihre Geschichten

Kiel: Diese Frauen durchlebten Unvorstellbares – hier teilen sie ihre Geschichten

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Ausstellerin Emely Egerwald erzählt die Geschichten von Betroffenen sexualisierter Gewalt. Foto: Was hattest du an?

Es sind intimste Geschichten, Eindrücke von schrecklichen Taten und ergreifende Erfahrungsberichte, die Emely Egerland für ihre Ausstellung in Kiel zusammengetragen hat.

„Was hattest du an?“: Unter diesem Titel gibt die 27-Jährige aus Kiel Betroffenen von sexualisierter Gewalt Raum für ihre Erzählungen. Eigentlich eine unangebrachte Frage, denn sie impliziert eine falsche Schuldzuweisung. Ein verbreitetes Problem, auf das Egerland mit ihrer Ausstellung aufmerksam machen will.

Kiel: „Was hattest du an?“ beginnt am 10. April

„Viele Menschen im Umfeld von Betroffenen sind mit der Situation überfordert, wenn sie erfahren, dass ein geliebter Mensch sexualisierte Gewalt erlebt hat“, sagt Emely Egerland im Gespräch mit MOIN.DE

„Manche Menschen versuchen unterbewusst Gründe oder Erklärungen für eine Tat zu finden. Diese werden dann aber leider vermehrt auf die Betroffenen statt auf die Täter projiziert. Das ist wirklich fatal. Ich glaube, dass es helfen kann, wenn man sich im Vorfeld mit der Thematik auseinandergesetzt hat und auch versteht, warum Betroffene nie Schuld sind und Schuld sein können und warum man bestimmte Fragen nicht stellen sollte“, so die 27-Jährige.

Im Kern ihrer Ausstellung, die vom 10. bis zum 25. April in Kiel zu sehen sein wird, stehen diverse Outfits, die denen nachempfunden sind, wie sie die Betroffenen zum Zeitpunkt des Übergriffes getragen haben. „In Form eines kurzen Zitats werden dann die Umstände der Tat beschrieben.“

Es sind Geschichten wie folgende, die zeigen, mit welchen unterschwelligen oder auch direkten Anschuldigungen Betroffene oft konfrontiert werden:

„Ein Kommilitone verging sich an mir im Untergeschoss eines Party-Schiffs. Er versperrte mir die Tür. Ich kam weder aus dem Raum noch vom Schiff. Im Nachhinein hat er behauptet, es sei einvernehmlich gewesen. Es war eine Party-Situation und ich hatte zuvor schon einmal einen Kaffee mit dem Täter getrunken. Ich zeigte die Tat an und musste zahlreiche Fragen wie ‚Warst du betrunken?‘, ‚Was hattest du an?‘, ‚Warum hast du dich nicht gewehrt?‘ oder auch „Können die blauen Flecken nicht einfach von anderen sexuellen Praktiken kommen?“ über mich ergehen lassen.“

„Ich war 16. Um den Erfolg unseres wichtigsten Konzerts des Jahres zu feiern, traf sich unser Orchester nach der Show in einer Bar. Wir tranken. Viele Erinnerungen an den Abend sind verschwommen. Woran ich mich jedoch klar erinnern kann: Ich befand mich plötzlich auf der Herrentoilette. Ein langjähriger Freund aus dem Orchester hielt mich dort fest, drückte mich an die Wand, öffnete meine Hose und versuchte, mit seinen Fingern in mich einzudringen. Er ließ erst von mir ab, als jemand hineinkam und seine Tat störte. Wir hatten die gleichen Freunde. Als ich einigen von ihnen von der Tat erzählte, nahmen sie ihn in Schutz und beschuldigten stattdessen mich. Schließlich hatte ich ja getrunken und zuvor ausgelassen getanzt.“

Ideen für den Umgang mit Betroffenen

Neben den Erfahrungsberichten werden die Besuchenden der Ausstellungen mit Faktenwissen und Statistiken versorgt. Aber Emely Egerland, die selbst sexualisierte Gewalt erlebte, will ihnen auch Ideen mit an die Hand geben, wie man am besten mit Betroffenen umgeht.

Die Besucher und Besucherinnen haben zudem die Möglichkeit, die Ausstellung aktiv mitzugestalten, in dem sie ihre Gedanken anonym teilen können. Auch lokale Botschafter und Botschafterinnen wie etwa der Oberbürgermeister der Stadt Kiel unterstützen die Ausstellung. Ihre Audio-Statements können Besucher mit einem QR-Code über ihre Smartphones abrufen.

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Auf die Idee zur Ausstellung habe sie ein ähnliches Konzept aus den USA gebracht, so Egerland. „Ich bin bei Facebook darauf gestoßen und dachte, das müsste in ähnlicher Form auch in Deutschland umgesetzt werden. Dann habe ich mir das zur Aufgabe gemacht. Ich bin ja selbst betroffen, deswegen ist es mir umso mehr eine Herzensangelegenheit mich für diese Thematik zu engagieren und auch zu versuchen, den vielen anderen Betroffenen eine Hilfe sein zu können und sich für sie einzusetzen.“

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Das ist Kiel:

  • Kiel ist Landeshauptstadt und auch bevölkerungsreichste Stadt von Schleswig-Holstein
  • Hier leben rund 246.300 Menschen
  • Die Stadt ist ein bedeutender Stützpunkt der Marine
  • Kiel ist bekannt für den Handballverein THW Kiel und den Fußballclub Holstein Kiel
  • Jährlich lockt die Kieler Woche viele Besucher an

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Emotionale Gespräche mit Betroffenen

Die Suche nach Betroffenen sei nicht leicht gefallen. „Den Leuten zu sagen ‚Bitte teilt eure privateste, intimste und wahrscheinlich schrecklichste Geschichte, die ihr erlebt habt, mit uns, die ihr uns gar nicht so richtig kennt‘. Das fand ich sehr schwer.“ Über Social Media habe sie jedoch schnell viel Vertrauen aufbauen können. „Wir waren da sehr präsent und transparent.“

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Die Gespräche mit den Betroffenen seien sehr emotional gewesen. „Ich habe da so viele, so starke Frauen kennengelernt und das hat mich inspiriert und motiviert, trotz der Schwere der Thematik weiterzumachen.“

Für Emely Egerland besonders wichtig: „Betroffenen die Schuld an einer Tat zuzuweisen, ist immer falsch. Seid füreinander da. Verurteilt nicht. Fragt weniger und hört einander lieber zu. Unterstützt einander bedingungslos.“