Eigentlich sollte Jennifer Weist aka Jennifer Rostock schon am 9. Mai über ihr umstrittenes Buch sprechen dürfen. Zu heiß war die Materie aber offenbar dem NDR, der die Künstlerin kurzum aus der geplanten „NDR Talk Show“ auslud (Moin.de berichtete).
Am 16. Juli, rund zweieinhalb Monate später, durfte die Sängerin doch noch über ihre persönlichen Erfahrungen mit Drogen, sexualisierter Gewalt, Machtmissbrauch und Sexismus in der Musikindustrie sprechen. „DAS!“ im NDR bot eine solide Bühne – bis Moderatorin Ilka Petersen ein peinlicher Patzer unterlief.
NDR: Zu krass, zu hart, zu Weist
In ihrem Buch „Nackt: Mein Leben zwischen den Zeilen“ packt Jennifer Weist, geboren auf Usedom, schonungslos aus. Wenige trauen sich, so offen von Gewalterfahrungen in und außerhalb der Musikbranche zu erzählen, von einer Vergewaltigung in der Kindheit, sexuellen Missbrauch durch den eigenen Manager und mehr. Themen, die dem NDR nicht ins Abendprogramm passten.
Bei „DAS!“ im NDR durfte Weist immerhin am Vorabend auf dem roten Sofa erzählen. Sichtlich bewegt berichtet sie von massiv sexuell übergriffigem Verhalten ihres früheren Band-Managers, Drogenerfahrungen in der frühesten Jugend und einer abwesenden Mutter. Gekonnt führt Moderatorin Ilka Petersen durch das Gespräch, zeigt sich feinfühlig – bis es an die Bewältigung des Ganzen geht.
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Blanke Wut im NDR
Als Jennifer Weist von der Vergangenheit auf die Jetzt-Zeit umschaltet, berichtet sie von unsäglichen Reaktionen (vor allem von Männern) auf emanzipierte Frauen, die sich laut, aggressiv und einfach wütend präsentieren. So wie sie selbst eben, „angry women“ heißt auch ihr kommendes Solo-Album. „Warum so böse?“ fragt Moderatorin Petersen entspannt. Dann passiert’s.
Eine „angry women“ drücke eben Wut und Frust „gegen ein unterdrückendes System“ aus, beginnt Weist und präzisiert: „Was ja immer abgetan wird als was anderes. Als menstruierend, ach, die ist ungefickt, ach, die übertreibt“.
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Lieber nicht „ungefickt“ im NDR
Ilka Petersen nutzt eine kurze Sprechpause von Weist, um das „ungefickt“ im Satz mit einem gesprochenen „Piep“ zu zensieren. Ob das ironisch gemeint ist, kommt in der NDR-Sendung kaum rüber – vor allem nicht nach dem Rauswurf Weists aus der sendereigenen „Talk Show“. Weist reagiert sofort.
„Oh, Entschuldigung. Das habt ihr aber ja auch in dem Song gar nicht weggepiept“, sagt sie und windet sich befremdet auf ihrem Sitz. Petersen lässt das unkommentiert, eine peinliche Pause folgt. Der NDR reagiert unterschwellig genau wie jenes System-Klientel, das wütende Frauen wie Weist bekämpfen wollen. Mit Zensur. Mit Ignoranz. Mit Wegmachen. Es ist nur eine kurzer Fehltritt in einer ansonsten sehr soliden Sendung – doch er zeigt: Frauen wie Jennifer Weist haben noch viel zu tun.