Die Vorsitzende der Grünen Jugend, Jette Nietzard, hat über Instagram angekündigt, beim kommenden Bundeskongress im Oktober nicht erneut kandidieren zu wollen. Sie habe versucht, „eine linke Hoffnung, eine linke Stimme in den Grünen zu sein“. Das ging nicht auf. Kaum eine Politikerin wurde so sehr angegangen wie Nietzard. Ein Einzelfall oder ein politisches Phänomen, in dem junge Politikerinnen von einer anonymen Masse im Netz so lange schikaniert werden, bis sie aufgeben?
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Nietzard polarisiert, keine Frage. Schon bei ihrem X-Post über Christian Lindner (FDP), sie freue sich, dass er, der Mann von Franca Lehfeldt, kürzertrete, „um ihr Karriere und Kind zu ermöglichen“, konnten nicht mehr alle aus ihrer Grünen-Mutterpartei schmunzeln. Bei ihrem Auftritt im „ACAB“-Pullover war dann alles aus. Parteigegner forderten den Rücktritt, auch grüne Politiker kritisierten Nietzard scharf – und das war noch nichts gegen die Hass-Welle im Internet.
Zerfetzt von rechts, im Stich gelassen von links? – Nietzard gibt auf
Die junge Grüne selbst erklärte im Rahmen ihres Rücktritts: „Mal wurde ich in Fraktionssitzungen ausgebuht, mal wurde ich von Realo-Spitzenpersonal angeschrien. Oder von Ministerpräsidenten oder solchen, die es werden wollten, wurde mein Rücktritt gefordert“, sagte sie mit Blick auf Winfried Kretschmann und Cem Özdemir. Die Art der Debattenkultur habe sich verändert, erklärt Hibba Kauser unserer Redaktion. Sie ist, wie Nietzard, in der Jugendorganisation ihrer Partei aktiv – nur ist es bei ihr die SPD.
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Die Probleme in der Diskussionskultur seien aber die gleichen, erklärt die Juso. „Der Ton ist sehr viel rauer geworden“. Besonders Männer würden auch unter ihren Beiträgen nicht davor zurückschrecken, sogar mit Klarnamen und realem Foto Hasskommentare zu hinterlassen. „Diese Leute fühlen sich mittlerweile so sicher in ihrem diskriminierenden Denken, dass sie das offen teilen, als wäre es das Normalste der Welt.“
Dieser Hass im Internet verhindere, dass junge Menschen – insbesondere Frauen – den Schritt in die Politik wagen, erklärt die junge Sozialdemokratin. „Ich kenne Frauen, die mir sagen, dass schon die Hasskommentare unter meinen Beiträgen sie zurückschrecken“. Dabei empfinde sie diese als noch harmlos, „weil Drohungen nur ab und zu vorkommen, also nicht so schlimm und alltäglich wie bei anderen. Als Frau ist man aber besonders bedroht im Netz. Wenn der Hass ins echte Leben übergeht, kann es ziemlich schnell sehr gefährlich werden.“
Außerdem gebe es Unterschiede zwischen der Kritik, der politische Männer und Frauen im Netz entgegenschlagen, berichtet Kauser. „Ich werde viel öfter auf mein Äußeres und meine Hautfarbe reduziert. Als Frau sollte ich ja lieber keine Politik machen, sondern Haushalt und Kinder, oder ich solle lieber an einer Stange tanzen gehen, wurde mir mal geschrieben.“ Ratschläge, die ihren männlichen Kollegen eher selten begegnen.
Was, wenn der Hass die Politik zerstört?
„Man kann mich gerne an dem, was ich inhaltlich sage, messen. Mit mir in eine sachliche Debatte gehen – auch, wenn wir mal keiner Meinung sind. Aber ich werde erst gar nicht als Person gesehen, die Ahnung hat und mit der man diskutieren kann. Vielmehr fühlen sich Männer unter meinen Beiträgen in der Position, mir Dinge erklären zu müssen. Ständig Kontra zu geben, mich zu beleidigen oder mir jegliche Expertise abzusprechen.“
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Der Hass, der ihren jungen,, weiblichen Mitgliedern im Internet entgegenschlägt, trifft die Parteien oft unvorbereitet. So war nach den ersten Hate-Wellen aus der rechten Ecke gegen Jette Nietzard, lange vor dem „ACAB“-Pullover, eine gewisse Hilflosigkeit bei der älteren grünen Basis zu erkennen.
Das SPD-Mitglied Kauser fordert von den demokratischen Parteien, sie sollten ihrem Nachwuchs den Rücken stärken. „Sie sollten uns ernst nehmen. Oft springen Parteien auf eine Welle des Hasses auf – insbesondere, wenn es junge Frauen betrifft. Wir brauchen insbesondere solidarische Männer, die mit uns kämpfen und nicht gegen uns. Ich erwarte von Parteien klare Haltung – und dass man Feminismus nicht nur sagt, sondern auch lebt. Das zeigt sich in solchen Situationen.“
Mit Bezug auf Jette Nietzard erklärt Kauser: „Ich finde es unfassbar abartig, wie grüne Politiker sich im Fall von Jette verhalten haben. Allem voran konservative Grüne wie Cem Özdemir. Jette ist Vorsitzende der Grünen Jugend – es ist ihre Verantwortung, auf Missstände in dieser Gesellschaft aufmerksam zu machen. Das muss den Grünen nicht passen.“
Kritik auch am Grünen-Jugend-Co-Vorsitzenden
Sie fährt fort: „Aber wenn Springer, NIUS und Co. widerwärtige Kampagnen gegen sie starten, die jegliche Sachlichkeit längst verloren haben und darauf ausgerichtet sind, eine junge, engagierte Frau zu demütigen, erwarte ich eine klare Haltung von den Grünen, die sagen: ‚Ey, das geht nicht. Wir stehen hinter der Grünen-Jugend-Vorsitzenden. Und lassen es nicht zu, dass sie so diffamiert wird. Wir stärken ihr den Rücken – auch, wenn man mal inhaltlich nicht übereinstimmt.‘“
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Auch von dem Bundesvorstand der Grünen Jugend hätte Kauser mehr Solidarität mit Nietzard erwartet. „Sie hat einen Co-Vorsitzenden, den ich dazu nicht gehört habe bzw. der sich meines Erachtens nach komplett rausgehalten hat. Obwohl er während dieser Diffamierungskampagnen hätte hinter ihr stehen sollen. Auch die Jugendorganisationen haben viel aufzuarbeiten“. Das beziehe sich nicht nur auf die Grüne Jugend, sondern auch auf die Jugendorganisationen anderer Parteien.