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Hamburg: Ex-Kiez-Ermittler über seine härtesten Fälle – „Wäre fast erschossen worden“

Hamburgs Rotlicht-Milieu ist ein hartes Pflaster. Einer der in den rauen Zeiten mit dabei war, ist Kiez-Ermittler Waldemar Paulsen. Jetzt packt er aus.

Hamburg: Kiez-Ermittler packt aus
© Unbekannt

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Auf St. Pauli war er mindestens genauso berühmt-berüchtigt wie die kriminellen Kiezianer selbst. Aber er stand auf der anderen Seite. Waldemar Paulsen (76) war von 1972 bis 1982 der bekannteste Ermittler im Rotlicht-Milieu in Hamburg. Sein Spitzname „Rotfuchs“ kommt nicht daher, sondern weil er rote Haare hatte.

Inzwischen ist er zwar im Ruhestand, schreibt Milieu-Bücher und pflegt seine Homepage, aber wann immer eine Dokumentation oder ein fiktionaler Film gedreht wird, ist seine Expertise gefragt. Dann blickt der ehemalige Hauptkommissar der Davidwache zurück auf die wilden Zeiten in Hamburg, um die Zuhälter-Banden „GMBH“ und „Nutella“ und berät die Filmcrews vor und hinter der Kamera. Warum diese Ära immer noch auf so großes Interesse stößt und wie er fast erschossen wurde, erzählt er beim Interview mit MOIN.DE.

Hamburg: „Den ultimativen Fick im Milieu erleben“

Als der Lude „Der schöne Klaus“ starb, berichteten sämtliche Medien darüber. TV-Mehrteiler wie „Luden“ oder Dokus wie „Reeperbahn Spezialeinheit FD65“ verzeichnen hohe Zuschauerzahlen. Woher kommt der Hype?

In den 60ern und 70ern war St. Pauli verrucht. Damals war Pornografie verboten. Sex-Hefte gab’s nur unterm Ladentisch, Live-Sex-Shows wurden später erlaubt. Die Besucher kamen aus ganz Westdeutschland. Männer dachten, den ultimativen Fick im Milieu erleben zu können – es herrschte eine besondere Atmosphäre des Verbotenen. Erst Mitte der 80er wurde durch die zunehmenden medialen Möglichkeiten mehr Aufklärung geboten. Dadurch ging langsam der große Reiz verloren. Heute interessiert die Leute das Nostalgische, das Verruchte, was sie nicht miterlebt haben und nicht kennen.

Wird in den Filmen nicht zu sehr romantisiert?

Es entsteht manchmal der Eindruck, dass früher alles besser war. Aus meiner Perspektive ist das nicht der Fall. Wir hatten erhebliche Probleme mit den Zuhältern, die sehr rüde mit den Frauen umgegangen sind. Daraus resultierte die Einrichtung einer OK-Dienststelle (Organisierte Kriminalität). Das hatte den Vorteil, dass wir täter- und personenbezogen ermitteln und uns um besonders auffällige Kriminelle kümmern konnten, anstatt nur das jeweilige Delikt zu betrachten. In der Doku „Reeperbahn Spezialeinheit FD65“ wird das sehr authentisch wiedergegeben. Aber in Filmen paart sich Fiction mit Realität. Bei „Luden“ hätte man realistischere Typen besetzen können.

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Der Ex-Kiez-Ermittler hat in seiner Karriere schon viel erlebt.
Der Ex-Kiez-Ermittler hat in seiner Karriere schon viel erlebt. Foto: Facebook/Waldemar Paulsen

Hamburg: Nur knapp dem Tod entkommen

An welche krassen Ereignisse können Sie sich genau erinnern?

An alles rund um den Serienmörder Fritz Honka (†), der am Hamburger Berg in den üblen Spelunken verkehrte und der vier Frauen getötet hatte, weil sie zu lustlos beim Geschlechtsverkehr waren. Ein kleines, unscheinbares Männchen, das ich öfter mal in den üblen Spelunken am Hamburger Berg überprüft habe. Als Honka festgenommen wurde, verhaftete ich im Nachtdienst gerade einen Zuhälter im Eros-Center.

Einmal bekam ein Kollege am 13. Dezember 1975 leicht angetrunken nach einer Geburtstagsfeier Streit mit einer Bardame im „King George“ am Hans-Albers-Platz. Daraufhin nahmen ihn Zuhälter in den Schwitzkasten und legten in bewusstlos vor die Tür. Im Hafenkrankenhaus erfuhr ich, dass sein Zungenbein gebrochen war. Tot. Die beiden ermittelten Täter gingen mit Freisprüchen aus dem Gericht, aus Mangel an objektiven Zeugen.


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Sind Sie selbst auch mal in Lebensgefahr gewesen?

Den 13. Dezember 1980 werde ich nie vergessen. Da wäre ich fast erschossen worden. Wir bekamen einen Tipp von einem Knastkumpan, dass die Juwelier-Filiale Wempe am Hans-Albers-Platz von dem Berufsverbrecher Egon Suhr überfallen werden sollte und observierten dort. Mein Kollege und ich sahen einen Verdächtigen, dem wir in ein Lokal folgten. Dort waren nur Betrunkene und laute Musik.

Als ich die Papiere des Kerls überprüfen wollte, zog er eine Walther-Pistole, hielt sie breitbeinig vor mein Gesicht und schrie: Hände hoch! Mein Partner stürzte sich blitzschnell auf ihn. Beide fielen. Egon feuerte mehrmals ab. Ein Geschoss verpasste mein linkes Ohr, ein weiteres traf einen 27-jährigen Gast in den Rücken. Nach dem fünften Schuss hatte seine Pistole Ladehemmungen. Ich schlug mit meiner Waffe so lange auf seinen Schädel, bis er aufgab und die Waffe wegwarf. Der bin ich über den Tisch hinterher gehechtet, sonst hätte sie jemand mitgehen lassen.

Die Taten von "Stahlruten-Klaus". Mit solchen fällen war der "Rotfuchs" regelmäßig konfrontiert.
Die Taten von „Stahlruten-Klaus“. Mit solchen Fällen war der „Rotfuchs“ regelmäßig konfrontiert. Foto: Unbekannt

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Welche Konsequenzen ergaben sich aus den Schüssen?

Egon Suhr wurde zu acht Jahren Knast verdonnert und lebt heute nicht mehr. Ich zog mir eine posttraumatische Belastungsstörung zu, was mir damals nicht klar war. Es gab keine psychologische Unterstützung. Da hat man nur die äußerlich sichtbaren Wunden behandelt. Nach zwei Tagen ging ich wieder zum Dienst und hatte keine Zeit, mich damit auseinander zu setzen.

Erst als ich pensioniert wurde. Noch heute holt mich das von damals immer am 13. Dezember ein. Alle Ereignisse, die ich damals als bedeutend empfand, kommen heute wieder hoch. Ich kann mich dezidiert an Kleinigkeiten erinnern. Erst nachdem ich meine Biografie „Meine Davidwache – Geschichten vom Kiez“ geschrieben habe, ging’s wieder.