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Hamburg: Ex-Kiez-Ermittler packt aus – dieser ungeklärte Fall verfolgt ihn bis heute

Waldemar Paulsen (76) war zehn Jahre Ermittler auf dem Kiez in Hamburg. Er war nah dran an Rotlicht-Größen – die ihm auch mal ans Leder wollten.

© privat

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Der ehemalige Hauptkommissar der Davidwache Waldemar Paulsen (76) war ab 1972 zehn Jahre lang ein gefürchteter Ermittler im Milieu auf St. Pauli in Hamburg. Noch heute wird er als Fachmann angefragt, wenn Medien oder Filmemacher sein Hintergrundwissen bei Recherchen benötigen.

Ob RAF, die Zuhälter-Banden „GMBH“ oder „Nutella“, der „Rotfuchs“ war dabei. Im zweiten Teil seines Interviews mit MOIN.DE erzählt er über gefährliche Begegnungen und wie er sich auf dem Kiez in Hamburg Respekt verschafft hat.

Hamburg: „Wenn das nicht aufhört und ich wiederkomme…“

Sie haben nicht nur Kriminelle auf dem Kiez verfolgt. Manche sagen, Sie waren auch eine Art Sozialarbeiter.

Das kommt daher, dass ich wie gesagt, sehr harmoniesüchtig war und bin. Das ist mein Naturell. Ich kann Unrecht, das anderen angetan wird, nicht leiden und setze mich dann ein. Mehr sogar noch, als für mich selbst. Deshalb konnte ich vielen Frauen, die anschaffen gingen, im Milieu helfen. Mein Credo waren immer drei Faktoren: Transparenz, Wagemut und Beharrlichkeit. Mein Gegenüber muss immer wissen, wie ich ticke, dass er sich auf klare Ansagen, die ich mache, auch verlassen kann.

Wie konnten Sie konkret den Prostituierten helfen?

Wenn ich zum Beispiel mitbekommen habe, dass Frauen von ihren Zuhältern verprügelt wurden, bin ich zu ihnen hin. Egal, ob sie von der „GMBH“ oder der „Nutella“-Bande waren. Ich habe dann gesagt: „Wenn das nicht aufhört und ich wiederkomme und sehe, dass die Frauen blaue Augen oder andere Blessuren haben, dann werde ich meinen ganzen Fokus auf Ihr Etablissement richten. Ein Jahr lang. Das kann ich Ihnen versprechen. Nach dem Jahr können wir dann mal prüfen, ob sich das gewinnfördernd oder verlustig ausgewirkt hat.“

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Hamburg: Eine Frage des Respekts

Hat es gewirkt?

Das hat meistens gewirkt. Mit solchen Ansagen konnte ich mir Respekt verschaffen und hatte Erfolg. Ich habe Kollegen erlebt, die mit dem Milieu nicht umgehen konnten. Wenn ich zu ihnen sagte: „Zieh’ mal den Tisch aus“, dann stieg ihnen schon die Schames-Röte ins Gesicht. Die waren ängstlich und ließen sich nach kurzer Zeit versetzen.

Hier nimmt „Rotfuchs“ Waldemar Paulsen im „Hotel Davidwache“ in Hamburg gerade eine Prostituierte in Gewahrsam. Foto: privat

Sind Sie mal von Luden persönlich bedroht worden?

Ja, zuerst, wenn sie nicht aus Hamburg kamen, wie die meisten von ihnen. Großes Theater gab’s immer in der „Chikago Bar“ am Hans-Albers-Platz, die von dem Kiezianer Ringo Klemm (†) betrieben wurde. Er galt als Chef der „Chikago“-Zuhälterbande und wurde als „heimlicher Pate“ bezeichnet. Sein Kellner und Zuhälter Rüdiger Grüneis hat mich ständig angemacht und Gäste gegen mich aufgewiegelt, sobald ich dort einlief. Das war bedrohlich. Einmal bat mich Klemm um Hilfe, weil ihm das Bezirksamt eine Frühkonzession verweigerte und er deshalb schon um vier Uhr schließen musste. Ich schlug ihm ein Gegengeschäft vor und sagte: „Ich kann’s versuchen, wenn Grüneis künftig die Füße still hält, wenn ich den Laden betrete.“ Beides klappte.


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Was ist aus Rüdiger Grüneis geworden?

Der hat sich selbst in Gefahr gebracht. Über dem „Chikago“ wurden jeden Donnerstag illegale Glücksspiele organisiert. Dazu kamen Spieler aus ganz Deutschland, Holland, Österreich und der Schweiz. Dort wurde Haus und Hof verzockt. Einmal fiel Rüdiger aus Versehen ein gezinktes Ass aus dem Ärmel und flog auf. Dann ist er in den Sachsenwald gefahren, hat sich in seinen Wagen gesetzt und hat die Auspuffgase ins Fahrzeuginnere umgeleitet.

Gab’s auch Ärger mit Kollegen?

Nur, wenn sie mit einer linken Tour kamen. Die Mordkommission bat mich manchmal um Amtshilfe, wenn sie mal einen Luden als Zeugen vernehmen wollten, aber ihn nicht finden konnten. Vor meiner Zeit wurden sie manchmal zur Aussage zur Vernehmung gelockt mit dem Versprechen, anschließend wieder gehen zu können. Aber als sie die Klinke in der Hand hatten, hieß es plötzlich: Und hier habe ich noch einen Haftbefehl. So etwas wollte ich nicht mitmachen, dann hätte ich mein Gesicht verloren. So kam es vor, dass ich eines der Alpha-Tiere bei der „GMBH“ anrief und sagte: „Wir müssen mal mit dem und dem sprechen.“ Eine halbe Stunde später tanzte der dann an und durfte nach seiner Aussage wieder gehen.

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Haben Ihnen Kiezianer auch mal von sich aus geholfen?

Ja, eine Prostituierte informierte mich mal darüber, dass „GMBH“-Zuhälter etwas gegen mich unternehmen wollten. Denn ich kann es nicht leiden, wenn diese arbeitsscheuen Personen Frauen dermaßen ausbeuten. Sie sollte das Gerücht streuen, dass sie für mich anschaffen ginge, was eine Kündigung zur Folge gehabt hätte. Dann habe ich mir den Harry Voerthmann (†) und den „Beatle“ Vogeler (†) von der GMBH in der Silbersackstraße geschnappt und zur Rede gestellt. Ich habe ihnen gesagt, dass gewisse Spielregeln eingehalten werden müssen und ihnen auch klargemacht, dass es Konsequenzen für ihre Etablissements hat, wenn sie oder andere nun der Informantin etwas antun würden. Dann würde ich die beiden sofort verhaften.

Von wem kamen noch Tipps?

Ein Verdeckter Ermittler vom LKA informierte mich darüber, dass einer der Alpha-Tiere der „GMBH“ auf einer Geburtstagsfeier den Hut rumgehen ließ, mit der Ansage: Wir haben Probleme mit dem Rotfuchs. Der muss aus dem Milieu entfernt werden. Wie hätte ich mich dagegen wehren sollen? Fortan hatte ich ein mulmiges Gefühl, wenn ich in den dunklen Kellern und Treppenhäusern vom Eros-Center mit seinen 32 Bordell-Einheiten und den 266 Zimmern unterwegs war. Aber es ist gut gegangen.

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Gibt es Fälle, die Sie bis heute ärgern?

Am 28. September 1981 war ich mit einem Kollegen unterwegs zum Boxkeller „Zur Ritze“, um dort einen Münchener Zuhälter zu verhaften. Unterwegs wurden wir über Funk zu einem anderen Fall in die Herbertstraße gerufen. Höhe Hans-Albers-Platz plötzlich überall Polizei-Sirenen. Wir machten sofort kehrt. Da sehe ich den Zuhälter Fritz Schroer, alias „Chinesen-Fritz“, blutüberströmt vorm „Ritze“-Tresen liegen. Jemand hatte ihn mit drei Schüssen vom Barhocker geballert. Somit hatten wir den flüchtigen Killer um Minuten verpasst. Der Fall ist bis heute ungeklärt. Aber Mord verjährt nicht. Aber am meisten wurmt mich, dass wir Josef Nusser, alias „Wiener Peter“, nicht damals schon zur Strecke bringen konnten. Den hatte ich ein bisschen unterschätzt. Ein raffinierter Typ, freundlich und nett. Aber durchtrieben. Später wurde er als Auftragsmörder zu lebenslänglich verknackt und vorzeitig nach Österreich abgeschoben.