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Hamburg: Ukrainer in Deutschland haben große Angst – „Bis jetzt geweigert zu fliehen“

Hamburg: Ukrainer in Deutschland haben große Angst – „Bis jetzt geweigert zu fliehen“

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Hamburg: Ukrainer in Deutschland haben große Angst – „Bis jetzt geweigert zu fliehen“

Hamburg: Ukrainer in Deutschland haben große Angst – „Bis jetzt geweigert zu fliehen“

Angriff auf Ukraine: Immer mehr Spitzensportler äußern sich

Fußballer, Tennisspieler, Ex-Boxer: Auch an der Sportwelt geht der Angriff Russlands auf die Ukraine nicht spurlos vorbei. Immer mehr ukrainische und russische Sportler äußern Kritik und Fassungslosigkeit und sprechen den Betroffenen ihr Mitgefühl aus.

Die Lage in der Ukraine spitzt sich immer weiter zu und die Lage ist schon längst eskaliert. Russland hat dem Land den Krieg erklärt. Die Zustände sind dramatisch. Etwa 1.500 Kilometer entfernt sitzen Ukrainerinnen und Ukrainer in Hamburg und schauen mit großer Sorge auf die Ereignisse in ihrem Heimatland.

Sie demonstrieren, versuchen von Hamburg aus Hilfsgüter zu schicken – und beten für Frieden.

Hamburg: Ukrainerin ist geschockt und fassungslos

Eine von ihnen ist Anna Rempel. Sie kam 2001 ganz alleine nach Deutschland, um hier zu studieren. Jetzt lebt sie in Hamburg und arbeitet als Juristin. „Ich stehe immer noch unter Schock“, erzählt sie gegenüber MOIN.DE. Weiter sagt sie: „Ich habe keine ruhige Minute mehr.“

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Sie sei in ständiger Sorge und Angst um ihre Familie in der Ukraine. Diese sei groß und lebe im Süden des Landes zwischen der Krim und Dombas. Ihre Mutter habe drei Geschwister, ihr Vater neun – über 40 Cousinen und Cousins hätte sie und „das sind nur die ersten Grades, aber viele von denen sind jetzt auf der Flucht und fahren in Richtung Westen. Sie alle fürchten um ihr Leben. Es ist einfach nur unglaublich,“ erzählt Anna Rempel mit heiserer Stimme.

Ukrainische Soldaten beziehen Stellung in der Innenstadt.
Ukrainische Soldaten beziehen Stellung in der Innenstadt.
Foto: picture alliance/dpa/AP

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Daten und Fakten über Hamburg:

  • Hamburg ist als Stadtstaat ein Land der Bundesrepublik Deutschland.
  • Hamburg ist mit rund 1,9 Millionen Einwohnern die zweitgrößte Stadt Deutschlands und die drittgrößte im deutschen Sprachraum.
  • Das Stadtgebiet ist in sieben Bezirke und 104 Stadtteile gegliedert, darunter mit dem Stadtteil Neuwerk eine in der Nordsee gelegene Inselgruppe.
  • Der Hamburger Hafen zählt zu den größten Umschlaghäfen weltweit.
  • Die Speicherstadt und das benachbarte Kontorhausviertel sind seit 2015 Teil des UNESCO-Weltkulturerbes
  • International bekannt sind auch das Vergnügungsviertel St. Pauli mit der Reeperbahn sowie das 2017 eröffnete Konzerthaus Elbphilharmonie.

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Seit Tagen sei sie auf den Beinen, sie könne jetzt einfach nicht untätig sein. Eine Erkältung, Reden halten und vor allem der Schock, haben ihre Stimme in Mitleidenschaft gezogen. Doch sie will erzählen, wie es ihr geht und wie es ihrer Familie in der Ukraine geht – „sie brauchen dort Unterstützung.“

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Hamburg: Familie weigert sich zu fliehen

Während Bilder von verstopften Straßen zeigen, wie die Menschen in der Hauptstadt verzweifelt versuchen, die Stadt zu verlassen, habe sich ihre Schwester, die in Kiew lebt, entschlossen zu bleiben. „Meine Familie hat sich bis jetzt geweigert zu fliehen,“ erzählt Rempel.

Blick auf die Stadt Kiew.
Blick auf die Stadt Kiew.
Foto: picture alliance/dpa/AP

Ihre Schwester sei in der Nacht auf Freitag mehrmals durch laute Explosionen aufgeschreckt und habe die Nacht dann im Keller ihres Hauses verbracht. Kaum jemand wäre draußen auf den Straßen gewesen.

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„Das ist einfach nur der totale Wahnsinn, was dort los ist. Die beschießen die Stadt mit Raketen, was wollen die damit erreichen?“, die Wahl-Hamburgerin ist aufgebracht. Viele Ukrainer suchen Schutz in den Kellern der Häuser, das schütze zwar vor splitternden Glasfenstern, doch einer Bombe würden die alten sowjetischen Bauten nicht standhalten.

Menschen in der Ukraine suchen Schutz in einem Keller eines Gebäudes, während die Sirenen neue Angriffe ankündigen.
Menschen in der Ukraine suchen Schutz in einem Keller eines Gebäudes, während die Sirenen neue Angriffe ankündigen.
Foto: picture alliance/dpa/AP

Ihre Schwester bleibe also in Kiew. Sie könne nicht gehen, sagt Rempel. Als Bereichsleiterin einer großen touristischen Firma trage sie die Verantwortung für ihre Mitarbeiter und müsse Auslandsaufenthalte koordinieren. Unter anderem kümmere sie sich um eine medizinische Hilfsgruppe von Ärzten, die in den arabischen Emiraten festsaß und die sie nun in Tschechien unterbringen konnte.

„Sie hat zum Glück keine kleinen Kinder, sie ist nur für sich selbst und ihren Mann verantwortlich“, erklärt Rempel. Deshalb opfere sie sich bereitwillig für ihre Mitarbeiter auf und bliebe vor Ort. „Es fällt mir schwer, das zu akzeptieren“, gibt Rempel zu, doch etwas anderes bleibe ihr nicht übrig.

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Hamburg: Ukrainerin gründet Koordinatons-Komitee

Sie selbst versucht von Hamburg aus so viel zu tun, wie sie kann. Deshalb habe sie bereits vor einigen Tagen Maßnahmen ergriffen. Sie hatte eine Vorahnung: „Ich gucke, ehrlich gesagt, kein deutsches Fernsehen. Ich komme einfach nicht dazu. Ich lese nur Nachrichten aus der Ukraine von zwei bestimmten Medien, denen ich vertraue.“

Doch bis vor einigen Tagen hätte sie auch die russischen Medien verfolgt: „Die Erfahrung bringt es mit sich, dass man an der Rhetorik in Russland erkennen kann, worauf die russischen Machthaber ihre Bevölkerung vorbereiten und daraus kann man Schlüsse ziehen für sich selbst, deswegen habe ich vorgestern so gehandelt, wie ich gehandelt habe für meine Familie.“

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Gemeinsam mit anderen Freiwilligen gründete sie ein Koordinations-Komitee. Schon vor drei Tagen hätte sie sämtliche Adressen und Kontakte über alle möglichen Wege an ihre Verwandten weitergeleitet. Damit diejenigen, die in Richtung Westen fliehen, eine Unterkunft haben und Hilfe bekommen. Nicht nur in der Ukraine, auch in Polen und Deutschland.

Hamburg: Auch ihre Eltern wollen nicht fliehen

Anna Rempel ist aufgebracht, erschüttert, wütend – sie hat keine Worte für das, was dort geschieht. Immer wieder betont sie ihre Fassungslosigkeit. „Haben die Menschen denn nichts aus der Geschichte gelernt?“, fragt sie verzweifelt. Wir seien alle betroffen, nicht nur die Menschen in der Ukraine. „Sie kommen, um uns zu töten“, sagt sie und schweigt.

Ukrainische Soldaten beziehen Stellung in der Innenstadt.
Ukrainische Soldaten beziehen Stellung in der Innenstadt.
Foto: picture alliance/dpa/AP

Auch ihre Eltern weigern sich, ihr kleines Dorf in der besetzten Region zu verlassen. Ihr Vater besitze Vieh. Es sei unmenschlich, es einfach ihrem Schicksal zu überlassen, hätte er gesagt. Ihre Mutter sei Lehrerin einer Berufsschule. Viele ihrer Schüler im Alter zwischen 15 und 17 Jahren seien Waisen: „Mehr als die Hälfte ihrer Schüler haben niemanden, zu dem sie fahren können.“ Ihre Mutter könne sie doch nicht einfach dort im Stich lassen – „die haben doch niemanden“.

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Eine andere Schule im Westen des Landes würde sie vorübergehend aufnehmen, doch „bei uns finden so schwere Kämpfe statt – es ist nicht möglich, zu fliehen. Es wäre grob fahrlässig, so viele Kinder in den Bus zu setzten und irgendwo hinzufahren.“ In ihrem kleinen Heimatdort sei die ukrainische Armee stationiert, die Kinder „sind dort noch viel sicherer, als wenn sie sich auf den Weg machen würden“.

Hamburg: „Dieser Mann ist einfach nur krank“

Dass die russischen Truppen auch das Gebiet um Tschernobyl eingenommen haben, bereite ihr zusätzlich große Sorgen. Dass in Kiew nun bereits höhere Strahlenwerte gemessen würden, macht ihr Angst. Sie befürchte, dass der russische Machthaber Putin den Krieg mit Strahlung und Atomkraft gewinnen will. Auch wenn Putin das verneine, glaube sie ihm kein Wort. „Dieser Mann ist einfach nur krank“, sagt sie deutlich.

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Als Ukrainerin und Angehörige hofft sie jetzt auf schnelle Hilfe: „Ich frage mich, worauf Europa noch wartet. Man muss jetzt mit einer vereinten Front auftreten. Die Soldaten, die da jetzt kämpfen, verteidigen nicht nur ihr Land und ihr Volk, sie verteidigen ganz Europa, sie verteidigen die ganze demokratische Ordnung. Und sie brauchen Unterstützung.“

Sie hoffe, dass die Menschen sich informieren, die helfen wollen. Es gäbe Gruppen auf Facebook und Telegram, in denen man sich engagieren könne. Noch bis Montag hat ihr Arbeitergeber sie freigestellt, damit sie sich um ihre Familie kümmern kann. Wie es dann weitergehen soll, weiß sie noch nicht.