Die Strände sind leerer, die Hotelbetten bleiben frei: An der deutschen Nordsee- und Ostsee-Küste macht sich in diesem Sommer Ernüchterung breit. Von Sylt bis Usedom melden viele Gastgeber weniger Buchungen und das mitten in der Hauptsaison.
Schnell wird dabei der Finger aufs Wetter gerichtet: Zu kühl, zu wechselhaft, zu viel Regen (MOIN.DE berichtete). Doch ist das wirklich der einzige Grund für die Flaute? MOIN.DE hat mit Tourismus-Experten gesprochen und sich die aktuellen Entwicklungen angeschaut.
Einfluss des Wetters auf Nordsee- und Ostsee-Urlaube
Das Wetter spielt vor allem bei kurzfristig geplanten Reisen eine wichtige Rolle. Karsten Heinsohn vom „dwif“ erklärt: „Das Wetter spielt dort eine Rolle, wo es kurzfristige Anpassungsmöglichkeiten gibt, gerade bei einwöchigen Trips oder langen Wochenenden.“ Ostern 2024 etwa sorgte Regen an der Nordsee dafür, dass viele spontan an die Ostsee oder ins Ausland auswichen.
Der Haupturlaub hingegen sei laut den Experten eher nicht von kurzfristigen Stornierungen betroffen, gehe aber häufig auch nicht an die Nordsee und Ostsee. Tourismus-Professor Jürgen Schmude erklärt: „Wir sind ein typisches Outbound-Land, das heißt bei uns gingen in der Vergangenheit zwei Drittel der Haupturlaubsreisen ins Ausland und der Anteil ist auf etwa 70 Prozent gestiegen. Das geht zu Lasten des Inlands.“
Doch auch umgekehrt kann das Wetter Reisen beeinflussen: In der Türkei oder Griechenland sei es inzwischen oft zu heiß, da profitieren Nordeuropa-Ziele laut Heinsohn. Der Tourismus-Experte betont zudem, dass Stornierungsbedingungen immer wichtiger werden, um bei ungewisser Wetterlage flexibel zu bleiben. Schmude ergänzt allerdings, dass er dennoch kein starkes Last-Minute-Buchverhalten sehe.
+++ Wetter im Norden dreht auf! Laut Experte kommt jetzt die längste Sommerphase des Jahres +++
Nordsee und Ostsee: Sind Preissteigerungen schuld?
Tourismus-Experte Jürgen Schmude erklärt: „Das Wetter ist ein Faktor, aber die preisliche Entwicklung und die Vorliebe für das Ausland spielen auch eine entscheidende Rolle.“ Die steigenden Preise sind für viele Urlauber spürbar – sei es bei Energie, Personal oder Waren. Heinsohn sagt: „Dass eine Preissteigerung da ist, ist völlig normal.“, aber „Wir sind aktuell nicht bereit, alles, was wir an zusätzlichem verfügbaren Gehalt durch die Reallohnzuwächse in jüngster Zeit haben, auch in den Konsum zu geben. Es ist eine Konsumzurückhaltung zu spüren.“
Die Menschen legen mehr Geld beiseite, um sich gegen Unsicherheiten abzusichern. Für Betriebe heißt das: Sie müssen ihre Margen nicht gierig ausreizen, sondern in Service und Qualität investieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Heinsohn warnt aber auch: „Es wird durchaus auch Betriebe geben, die ihre Preise stärken anheben, als sie es hätten müssen im Vergleich zu ihren Margen, aber dass die Preise steigen, ist notwendig, um Personalkosten und Co. zu decken.“
Heinsohn verweist darauf, dass öffentliche Haushalte unter Druck stehen und Tourismus eine freiwillige kommunale Aufgabe ist. Kosten für saubere Strände, Promenaden und Infrastruktur müssen gedeckt werden. Fehlendes Personal und mangelnde Investitionen machen den Betrieben zu schaffen, was sich in fehlender Gastronomie oder geringerer Qualität zeigt. Heinsohn stellt sich daher die Frage, ob stabile Übernachtungszahlen und eine stärkere Nutzung der Nebensaison nicht sogar die bessere Strategie sein könnten.
Mehr News:
Nordsee und Ostsee haben noch Potenzial
Schmude sieht das „Jammern auf hohem Niveau“ und erklärt, dass in Europa die Hotelpreise generell niedriger sind als in anderen Regionen der Welt. Heinsohn ergänzt, dass Deutschland auch im europäischen Vergleich noch keine Hochpreis-Destination ist, die Wettbewerbsvorteile zu Dänemark und Co. aber schrumpfen, vielleicht auch teilweise schon nicht mehr vorhanden sind.
Die Urlauber spüren, dass das Preis-Leistungs-Verhältnis in Deutschland an vielen Stellen sinkt, und viele machen Abstriche oder bevorzugen Ferienwohnungen mit Selbstversorgung statt Hotels. Diese selbstorganisierten Reisen können laut Schmude in der Regel nicht mit Kostenvorteilen von Pauschalreisen ans Mittelmeer mithalten.
Beide Experten sind sich einig, dass Investitionen in Qualität und Service der Schlüssel sind, um Gäste zu halten. Trotz Herausforderungen – fehlendes Personal, Investitionsstau, Wettbewerb – bieten die Küstenregionen große Chancen durch neue Angebote. „Das aktuell etwas schlechtere Jahr bedeutet nicht, dass Nordsee und Ostsee out sind.“, so Heinsohn abschließend.