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Zweite Heimat Nordsee- oder Ostsee-Küste? Warum immer mehr Städter in den Norden ziehen – und was das bedeutet

Viele Menschen träumen von mehr Lebensqualität. Wo man diese findet? Na klar, am Meer! Doch was bedeutet das für Nordsee- und Ostsee-Orte?

© IMAGO/Priller&Maug

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Die Sehnsucht nach Weite, Wind und Wellen verändert Deutschland. Immer mehr Menschen kehren der Großstadt den Rücken und suchen ihr Glück im Norden – an der Nordsee oder Ostsee. In den sozialen Medien fallen immer wieder emotionale Schilderungen über das Ankommen an der Küste, über Sommerabende am Meer und die ganz besonderen Sonnenuntergänge auf.

„Heute habe ich den Sonnenuntergang gesehen und es hat geklickt. Jetzt weiß ich, was mich hier so abgeholt hat“, schreibt ein Nutzer auf Reddit. „Du krempelst die Hosenbeine hoch und stellst dich in die Brandung. Du schließt die Augen und riechst die Gischt. Für einen kleinen Moment ist das Leben perfekt.“ Worte, die deutlich machen: Die norddeutschen Küstenorte an Ostsee und Nordsee wissen zu überzeugen und werden so für viele Menschen zur zweiten Heimat.

Großstadt adé – warum der Norden lockt

Dass sich immer mehr ehemalige Städter in Richtung Küste orientieren, ist auch statistisch belegt. Laut einer Umfrage des ifo-Instituts und des Immobilienportals „immowelt“ haben unter 12.000 Menschen in Deutschland viele Großstadtbewohner während der Covid-Pandemie den Wohnort gewechselt. Dabei zieht es aber die wenigsten ins tiefste Ländliche. Die meisten wechseln entweder in den Speckgürtel oder in kleinere Großstädte.

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Küstenorte profitieren zwar besonders – wegen ihrer Lage, ihrer Atmosphäre und wegen der besseren Vereinbarkeit von Wohnen, Arbeiten und Freizeit, allerdings muss man es sich auch leisten können und wollen hier herzuziehen.

Das Glück des einen wird schnell problematisch für viele andere

Der Zuzug hat auch für Einheimische Konsequenzen – nicht nur positive. Viele Orte im Norden erleben laut dem Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung zwar einen Wanderungsgewinn, doch die Infrastruktur wächst nicht überall mit. Besonders auf den Nord- und Ostsee-Inseln ist bezahlbarer Wohnraum längst Mangelware. „Inzwischen sind in fast allen Küstenregionen Mietwohnungen für Einheimische und Angestellte brutal knapp geworden“, sagt Reinhard Sager, Präsident des Deutschen Landkreistages gegenüber dem „Nordkurier“.

Auch Olaf Henschen von der „WohnECK“ in Nordfriesland bestätigt das Problem: „Wir haben 700 Leute auf unseren Bewerberlisten, ganz viele von ihnen sind wirklich akut von Wohnungsnot bedroht.“ Wohnraum wird vor allem durch Zuzüge von Menschen aus südlicheren Regionen knapper – oft mit Zweitwohnsitz oder gutem Einkommen. Für Normalverdiener bleibt wenig übrig.


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Ein Blick auf den Immobilienmarkt verdeutlicht die Dynamik. Auf Sylt kostete ein Quadratmeter Wohnfläche im ersten Quartal 2025 im Schnitt 14.597 Euro. Das geht aus dem aktuellen Küstenreport der Maklerfirma „Von Poll Immobilien“ hervor. Auch an der Ostsee steigen die Preise wieder. Auf der Halbinsel Fischland-Darß-Zingst lag der Quadratmeter-Preis bei durchschnittlich 4.450 Euro.

Vor allem Immobilien mit Wasserblick, moderner Ausstattung und guter Vermietbarkeit sind sehr stark nachgefragt, heißt es von „Von Poll Immobilien“. Auch in zweiter Reihe gebe es kaum Preisnachlass. Für viele, die sich dauerhaft niederlassen wollen, wird das zum Problem – vor allem für Berufstätige in Gastronomie, Pflege oder Dienstleistung.

Neue Perspektiven für Ostsee- und Nordsee-Orte

Gleichzeitig bietet der Zuzug neue Perspektiven für kleinere Orte. „Das wachsende Interesse am Landleben ist für die kleinen Gemeinden grundsätzlich eine gute Nachricht“, sagt Catherina Hinz vom Berlin-Institut gegenüber „tagessschau.de“. Junge Familien würden Schulen und Kitas sichern, Berufseinsteiger die regionale Wirtschaft beleben.

Doch die Integration der Neu-Zugezogenen gelingt nicht von selbst. Ortskerne veröden weiter, wenn neue Baugebiete auf der grünen Wiese entstehen. „Statt Einfamilienhaus-Siedlungen auf der grünen Wiese auszuschreiben, sollten zuerst die Ortskerne belebt werden, damit keine sogenannten ‚Donutdörfer‘ entstehen, wo in der Mitte nichts ist“, sagt die Autorin der Studie „Neu im Dorf – Wie der Zuzug das Leben auf dem Land verändert“ Eva Eichenauer.

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Die deutsche Küste wird zur neuen Heimat für viele, die in der Großstadt kaum einen Reiz sehen. Die Mischung aus Natur, Lebensqualität und digitaler Arbeitswelt macht den Norden attraktiv. Doch steigende Preise, Wohnungsmangel und strukturelle Überforderung vor Ort zeigen: Der Traum vom Leben am Meer bringt auch Konflikte mit sich. Und wer bleibt, muss mitgestalten – nicht nur genießen.