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Hamburg: Was dieser Mann auf Facebook postet, bringt ihn im Urlaub in den Knast

Hamburg: Was dieser Mann auf Facebook postet, bringt ihn im Urlaub in den Knast

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Ilhami Akter aus Hamburg wurden mehrere Facebook-Postings zum Verhängnis. Foto: MOIN.DE

Eigentlich wäre Ilhami Akter gerade erst aus dem Gefängnis rausgekommen. Ob er dann so seelenruhig und sogar mit einem Lachen in Hamburg-Niendorf sitzen könnte, um seine Geschichte zu erzählen, ist fraglich. Mit 20 bis 30 anderen Gefangenen hätte er die letzten Jahre in einer Zelle verbracht, die für höchstens zwölf Personen ausgelegt ist.

Der 49-Jährige und der Rest hätten dort nur zwei Kabinen für den Klogang und zum Rasieren gehabt. Nur durch großes Glück blieb ihm das erspart. Über seine Heimat sagt Ilhami Akter im Gespräch mit MOIN.DE: „Nirgendwo wird man wegen solcher Kleinigkeiten so verhaftet.“ Im August 2018 wurde er im Haus seiner Mutter festgenommen, kurz darauf zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Der Auslöser: Postings, die der Mann aus Hamburg auf Facebook abgesetzt hatte.

Ohne Plan nach Hamburg

Seit 32 Jahren wohnt Ilhami Akter mittlerweile in Deutschland. 17 Jahre alt war er, als seine Familie im Osten der Türkei es für die beste Entscheidung hielt, ihn fortzuschicken. Von Deutschland oder Hamburg habe er damals überhaupt keine Ahnung gehabt, sagt er.

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Die Familie aus Zelxider lebte damals in großer Angst. Als politische Kurden befanden sie sich im Fadenkreuz des türkischen Staates. Jeden Tag hätte etwas passieren können. „Besonders Geheimdienste waren hinter uns hinterher“, sagt Ilhami Akter, der über seine Erlebnisse ein Buch geschrieben hat.

Er bekam mit, wie das Militär in sein Heimatdorf einfiel, sah, wie seinen Geschwistern ins Gesicht geschlagen wurde. Besonders einer seiner Brüder erregte mit seinem prokurdischen Aktivismus Aufmerksamkeit.

Es kam also zur Flucht nach Deutschland, in Hamburg hatte der damals 17-Jährige Verwandte. Über das Land an sich oder genauen Hintergründe, wieso er ganz alleine seine Heimat verlassen musste, war ihm damals nur wenig bekannt. „Ich wusste nicht, was gut und was schlecht ist, wusste nicht, wofür wer kämpft“, sagt Ilhami Akter über die Konflikte. Die Türkei sollte er lange nicht wiedersehen.

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Daten und Fakten über Hamburg:

  • Hamburg ist als Stadtstaat ein Land der Bundesrepublik Deutschland.
  • Hamburg ist mit rund 1,9 Millionen Einwohnern die zweitgrößte Stadt Deutschlands und die drittgrößte im deutschen Sprachraum.
  • Das Stadtgebiet ist in sieben Bezirke und 104 Stadtteile gegliedert, darunter mit dem Stadtteil Neuwerk eine in der Nordsee gelegene Inselgruppe.
  • Der Hamburger Hafen zählt zu den größten Umschlaghäfen weltweit.
  • Die Speicherstadt und das benachbarte Kontorhausviertel sind seit 2015 Teil des UNESCO-Weltkulturerbes
  • International bekannt sind auch das Vergnügungsviertel St. Pauli mit der Reeperbahn sowie das 2017 eröffnete Konzerthaus Elbphilharmonie.

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Erst nach 20 Jahren aus Hamburg wieder in die Heimat

Auch in Deutschland lief es zuerst nicht wie erhofft: Sein Asylantrag wurde nach zwei Jahren abgelehnt. Fortan blieb der 19-Jährige illegal in der Bundesrepublik. Erst 2009 gab es dann endlich etwas zum Jubeln: Ilhami Akter bekam die deutsche Staatsbürgerschaft. Zum Feiern entschied er sich zurück in die Heimat zu fahren. Das erste Mal Türkei seit 20 Jahren.

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„Du hast immer Angst, wenn du für die Kurden politisch aktiv bist“, sagt der Hamburger, der in der Hansestadt ein Taxiunternehmen gegründet hat, über seine damalige Rückkehr. Er weiß, dass er bei den Geheimdiensten auf einer Liste steht, er kennt Situationen, in denen es zu Bedrohungen kommt.

Doch damals ging alles gut. Im kleinen Dorf Zelxider konnte gefeiert werden. Danach ging es mit einem guten Gefühl wieder zurück nach Deutschland.

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Militär umzingelt Haus der Mutter

Auch 2018 fuhr der Hamburger wieder in die Türkei. Seine Mutter war krank geworden, routinemäßig erledigten die beiden ein paar Arztbesuche. Kurz bevor Ilhami Akter sich dann abermals auf den Weg zurück nach Deutschland machen wollte, wurde das Haus seiner Mutter an einem Mittwochmorgen von Soldaten mit Panzern ins Visier genommen. Er habe die Tür aufgemacht, vor ihm stand die Militärpolizei.

Die Soldaten sagten, dass ein Haftbefehl vorliege und man sein Handy und Laptop beschlagnahmen müsse. Der Vorwurf: Terrorunterstüzung. Wie so oft in der Türkei.

Man habe ihn drängen wollen, etwas zu unterschreiben. Etwas ähnliches wie ein Schuldeingeständnis. Der Staat rückte ihn in die Nähe der PKK. Wie so oft in der Türkei.

Ilhami Akter antwortete, er sei politisch interessiert, aber kein Anhänger der PKK. Der Grund, weshalb man ihn an diesem Morgen ins Visier genommen hatte, waren unter anderem prokurdische Postings auf seinem Facebook-Profil.

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„Keine Kommentare, keine Beleidigungen, es waren ganz normale Zeitungsartikel. Manche waren ganz alt. Da waren vom Spiegel sogar Artikel dabei, warum die PKK in Deutschland verboten ist“, so Akter. „Darüber könnt ihr euch doch freuen“, habe er gesagt.

Mehrfach vor Gericht

Genutzt hat alles nichts. Es ging ins Gefängnis und vor Gericht. Die zuständige Richterin habe ihn rassistisch beleidigt. „Solche Terroristen wie sie wollen wir hier nicht mehr haben. Wenn sie die Türkei nicht mögen, wieso kommen sie dann hierher“, habe sie gesagt.

Auch der Geheimdienst sei mit im Gerichtssaal gewesen. Es habe Absprachen mit der Richterin gegeben. „Da habe ich gewusst, ich muss in den Knast“, sagt Ilhami Akter lachend. Unabhängige Justiz? Fehlanzeige.

In die überfüllte Zelle mit den anderen kurdischen Gefangenen musste der Hamburger glücklicherweise nicht lange. Sein Anwalt konnte für ihn etwas erreichen. „Ich weiß nicht, wie er es geschafft hat.“ Es ging erneut vor Gericht.

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Dieses Mal hatte Ilhami Akter etwas Glück: Der Staatsanwalt wollte ihn loswerden und forderte eine vorläufige Haftentlassung. Der Richter hingegen pochte auf eine Bestrafung. Letztlich diskutierten beide lang und hitzig. Das Urteil: 3 Jahre und 1,5 Monate Haft, die bis zur Verhandlung in der nächsten Instanz ausgesetzt werden. Dazu ein Hausarrest und Ausreiseverbot.

„Nach dem Urteil und der Freilassung stand ich eine Woche unter Schock“, sagt Ilhami Akter. Er sei wieder in das Haus seiner Familie zurückgegangen, habe mit seinem Anwalt und prokurdischen Politikern aus der Region gesprochen. Die waren einer Meinung: Er müsse so schnell wie möglich weg von dort.

Nächtliche Flucht über die Grenze nach Georgien

Zwei Schlepper-Organisationen machten dem Hamburger Angebote: Eine Flucht über die Grenze nach Armenien oder Georgien. Da die Beziehungen zwischen der Türkei und Armenien bekanntermaßen grottenschlecht sind und die Grenze dementsprechend gut bewacht, fiel die Entscheidung auf Georgien. Kosten: 2.500 Euro. Besser als drei Jahre Gefängnis unter miesen Bedingungen.

In einer Nacht und Nebel Aktion versteckte sich Ilhami Akter im unteren Teil des Autos der Schlepper. Bei der Überfahrt über die Grenze hatte er Angst an den Autoabgasen und am aufgewirbelten Staub zu ersticken. Letztlich ging aber alles gut. Die beiden Schlepper waren nach eigenen Angaben türkische Linke.

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In Georgien erhielt Ilhami Akter weitere Hilfe. Von wem genau alles, kann er nicht öffentlich sagen. Nur so viel: Über die Hauptstadt Tiflis ging es letztlich wieder nach Europa und Deutschland zurück. In der Türkei habe man damals sofort gemerkt, dass er weg sei. Drei Soldaten befragten seine 83-Jährige Mutter. Sie sagte, er sei nicht mehr da. Die Soldaten hätten gelacht. Mehr sei glücklicherweise nicht passiert.

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„So lange das Regime da ist, werde ich nie wieder dorthinreisen“, sagt der Hamburger heute über seine Heimat. Das Buch habe er geschrieben, weil seit 2016 immer wieder türkisch-kurdische Menschen bei der Einreise zurückgewiesen oder wie er verhaftet würden.

„Ich wollte die politische Situation schildern, es geht um meine Kindheit, meine Flucht“, sagt Ilhami Akter. Und um Solidarität. Es ist auch ein besonderer Dank an seine vielen Unterstützer. Zu Inhaftierungszeiten wurde eine Mahnwache für Ilhami Akter in Hamburg abgehalten.

„Das alles habe ich nie erwartet, ich habe viel mehr bekommen, als ich gedacht habe“, sagt er.