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Hamburg: Mutter wegen versuchtem Mord an Tochter (4) vor Gericht – aber sie kann sich nicht erklären, warum sie dort sitzt

Hamburg: Mutter wegen versuchtem Mord an Tochter (4) vor Gericht – aber sie kann sich nicht erklären, warum sie dort sitzt

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Die Staatsanwaltschaft wirft einer Mutter vor, ihrer Tochter im Krankenhaus Schlaf- und Beruhigungsmittel verabreicht zu haben, die für das Kind hätten tödlich sein können. (Symbolbild) Foto: picture alliance / Zoonar | Vichaya Kiatying-Angsulee, picture alliance / xim.gs (Montage MOIN.DE)

Über eine Stunde redet die Mutter. Die 36-Jährige hat eine feste, tiefe Stimme. Sie spricht ohne Pausen, nur immer wieder kommt ein „Äh“ dazwischen. Eindrücklich und klar schildert sie, wie sie die Tage Ende Dezember 2020 erlebt hat, um die es in diesem Prozess am Landgericht Hamburg geht.

Die Vorwürfe sind grässlich: Die Staatsanwaltschaft wirft der Krankenschwester aus Hamburg vor, ihrer vierjährigen Tochter Ende vergangenen Jahres Schlaf- und Beruhigungsmittel verabreicht zu haben, die für das Kind hätten tödlich sein können. Die 36-Jährige steht wegen versuchten Mordes und schwerer Körperverletzung vor Gericht. Seit Anfang Februar sitzt sie in Untersuchungshaft.

Hamburg: „Ein ganz normales Frühstück“

Was das Motiv für die Tat sein könnte, war bis Prozessbeginn unklar. Am zweiten Verhandlungstag am Mittwoch schildert die Angeklagte die Geschehnisse an diesem verhängnisvollen 28. Dezember 2020 aus ihrer Sicht. Sie beginnt mit dem Frühstück. „Ein ganz normales Frühstück“ mit ihrem Mann und den drei Kindern, in dem Haus, in dem sie damals gemeinsam lebten.

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Nach dem Frühstück sei sie hoch zum Duschen und habe, als sie fertig war, ein ordentliches Rumsen gehört. Unten im Wohnzimmer, auch ihr Mann sei hingeeilt, habe sie ihre Tochter auf dem Boden liegen sehen, weinend, auf dem Rücken. Die größere Schwester habe gesagt, dass die kleinere, Vierjährige, auf dem Sofa geklettert und dann gestürzt sei.

Wenig später habe sie gesagt, ihr sei schwindelig. „Der Kopf tut weh.“ Die Mutter nimmt die rechte Hand und hält sie sich an den Kopf. Wie schon am ersten Prozesstag am Montag trägt die zierliche Frau das schulterlange, dunkelblonde Haar offen.

Ihre Tochter habe sich mehrfach erbrochen. Die Mutter beschloss, das ärztlich abklären zu lassen und fuhr mit der Vierjährigen ins Kinderkrankenhaus Wilhelmstift.

Die Kinderärztin der Familie, die an diesem zweiten Prozesstag als Zeugin geladen ist, wird diesen Schritt der Mutter auf Nachfrage des Richters später „nachvollziehbar“ nennen. Wäre die Mutter erst zu ihr in die Praxis gekommen, hätte sie sie mit Sturz auf den Kopf und Erbrechen auch ins Krankenhaus weitergeschickt.

Hamburg: „Wir waren total aufgelöst“

Was im Kinderkrankenhaus passierte, schildert die 36-jährige Mutter so: Die Ärzte hätten eine Gehirnerschütterung festgestellt und entschieden, das Kind zu beobachten. Weil die Kopfschmerzen ihrer Tochter am Abend immer noch nicht besser geworden seien – wieder führt die Angeklagte ihre rechte Hand zum Kopf – habe sie um etwas Leichtes gegen die Schmerzen gebeten. Eine Krankenschwester habe der Tochter dann etwas gegeben. „Wäh, das schmeckt nicht. Das schmeckt eklig“, habe ihre Tochter gesagt.

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Wenig später habe die Vierjährige begonnen, ganz undeutlich zu sprechen und gesagt, ihr sei so schwindelig. „Total verändert“ habe sie gewirkt. Das Mädchen wurde ins Kinder-UKE verlegt. Auch der Vater kam dazu. „Wir sind vom Schlimmsten ausgegangen. Wir waren total aufgelöst.“ Die Stimme der Angeklagten wird brüchig. Sie bricht, als sie von der anschließenden Erleichterung berichtet: Bei der MRT-Untersuchung im Kinder-UKE sei nichts festgestellt worden. „Ich kann das gar nicht beschreiben. Wir waren unendlich glücklich.“ Sie zieht die Ärmel ihres Pullovers über die Hände und wischt sich die Tränen ab.

Doch unter die Erleichterung mischten sich schon bald neue Sorgen: Am Nachmittag habe ihre Tochter wieder über Schwindel geklagt. „Sie ist einfach nicht richtig wach geworden.“ Wenig später habe ihr eine Ärztin mitgeteilt, dass im Urin des Mädchens Schlafmittel nachgewiesen wurden. Daraufhin wurde auch eine Blutprobe genommen.

Hamburg: „Ich bin nicht psychisch krank“

Am zweiten Verhandlungstag im Landgericht am Mittwoch zeigt sich die Angeklagte schockiert: „Ich konnte das nicht glauben“, sagt sie: „Ich dachte, ich wäre im falschen Film.“ Ihre Stimme wird lauter. Für sie und ihren Mann sei das „einfach unerklärlich gewesen“. Als ihr am nächsten Tag Ärzte eröffneten, dass auch im Blut ihrer Tochter Rückstände von Schlafmittel gefunden wurden, sei sie „völlig sprachlos“ gewesen.

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Daten und Fakten über Hamburg:

  • Hamburg ist als Stadtstaat ein Land der Bundesrepublik Deutschland.
  • Hamburg ist mit rund 1,9 Millionen Einwohnern die zweitgrößte Stadt Deutschlands und die drittgrößte im deutschen Sprachraum.
  • Das Stadtgebiet ist in sieben Bezirke und 104 Stadtteile gegliedert, darunter mit dem Stadtteil Neuwerk eine in der Nordsee gelegene Inselgruppe.
  • Der Hamburger Hafen zählt zu den größten Umschlaghäfen weltweit.
  • Die Speicherstadt und das benachbarte Kontorhausviertel sind seit 2015 Teil des UNESCO-Weltkulturerbes
  • International bekannt sind auch das Vergnügungsviertel St. Pauli mit der Reeperbahn sowie das 2017 eröffnete Konzerthaus Elbphilharmonie.

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Im Kinder-UKE habe ihr eine Ärztin gesagt, dass sie vermute, dass sie psychisch krank sei und eventuell am Münchhausen-Stellvertretersyndrom leide. Eine Störung, bei der Menschen anderen, häufig Kindern, eine Krankheit vortäuschen oder herbeiführen, um sie anschließend behandeln zu lassen oder selbst zu pflegen. Die Angeklagte sagt im Gerichtssaal bestimmt: „Ich bin nicht psychisch krank und ich habe meinem Kind nie was verabreicht und mein Mann auch nicht.“

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Im UKE wurden Kleidung und Taschen der Angeklagten durchsucht und eine abgepackte Spritze gefunden. Die Angeklagte sagt am Mittwoch dazu: Diese hätte sich noch von ihrer Arbeit als Krankenschwester in ihren Sachen befunden.

Die 36-Jährige weist sämtliche Vorwürfe zurück.

Kinderärztin aus Hamburg spricht von „sehr fröhlichem Kind“

Die Kinderärztin der Familie nimmt zwischen Richter und der Angeklagten Platz. Sie sei Zeugin und Sachverständige zugleich, so der Vorsitzende Richter Matthias Steinmann. Die Kinderärztin ist eine Frau mit jahrzehntelanger Berufserfahrung, Kurzhaarschnitt und großem dunklen Ziffernblatt an der Armbanduhr. Der Richter erkundigt sich nach der Krankengeschichte der vierjährigen Tochter. Gemäß der Ärztin war das Mädchen zu früh und mit einem Wasserkopf zur Welt gekommen.

Gefragt nach Auffälligkeiten zwischen den Jahren 2018 und 2020 beschreibt die Ärztin „deutliche motorische Entwicklungsverzögerungen“. Als andere Kinder in dem Alter längst hätten laufen können, sei das Mädchen noch gerobbt. Auch bei der Sprachentwicklung habe es weit zurückgelegen. Doch das habe sich geändert. Zuletzt habe sie die Vierjährige Anfang März diesen Jahres gesehen und davor im Januar oder Februar: Das Mädchen habe nur so vor sich hin gesabbelt. „Ich hatte einen guten Eindruck. Ein sehr fröhliches, lebendiges Kind, ein sehr willenstarkes Kind.“ Die Ärztin sagt auch: „Erstaunlich, wie stabil sie wirkte auf mich.“

Er frage jetzt „ganz laienhaft“, so der Vorsitzende Richter: Werde das Mädchen einmal „ein ganz normales Kind“ sein können, ohne Vorbehalte und Einschränkungen? „Was heißt schon normal?“, fragt die Ärztin zurück. Bei der letzten Vorsorge sei jedenfalls alles „tipitopi“ gewesen, schulisch mache sie sich keine Gedanken. Was die Motorik angehe, werde das Mädchen sicher nicht bei Olympia starten, aber es werde vielleicht sogar am normalen Sportunterricht teilhaben können, wenn ein guter Sportlehrer es werde integrieren können.

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Der Prozess soll am Montag, 9. August, fortgesetzt werden. Bis zum 6. Dezember sind insgesamt 22 Verhandlungstage geplant. (kbm)