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Hamburg: Mutter eines schwerbehinderten Sohnes ist wütend über Impfregeln – „Wie kann das sein?“

Hamburg: Mutter eines schwerbehinderten Sohnes ist wütend über Impfregeln – „Wie kann das sein?“

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Eine Familie aus Hamburg war im Impfzentrum noch nicht willkommen, als sie dort ankam. Foto: IMAGO / Joerg Boethling

Wütend sein, der Wut Raum geben, das sei nicht ihre Art, sagt Sonja Wäger-Kuhn. „Dazu habe ich weder die Zeit noch die Energie.“ Jetzt hat sie es doch getan. „Weil Familien wie wir in der Pandemie bislang übersehen worden sind“, sagt die 51-Jährige im Gespräch mit MOIN.DE.

Sonja Wäger-Kuhn hat einen 16-jährigen Sohn. Louis ist schwer mehrfach behindert. „Eine Ansteckung mit dem Coronavirus wäre für ihn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit lebensbedrohlich“, sagt seine Mutter. Die Familie aus Hamburg schützt sich seit Beginn der Pandemie so gut es geht vor einer Covid-19-Infektion.

Hamburg: Die Eltern pflegen ihren Sohn rund um die Uhr

Seit über einem Jahr geht Louis nicht mehr zur Schule. Die Eltern pflegen ihn rund um die Uhr zuhause. Sie wechseln sich ab. Sonja Wäger-Kuhn betont, dass sie nicht klagen möchte über ihre Situation. Wer ihr zuhört, bekommt auch nicht diesen Eindruck. Da spricht eine Mutter mit viel Liebe über ihren Sohn und Dankbarkeit für ihre Familie.

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Da spricht aber auch eine Mutter, die sich, wie sie sagt, für die Gesellschaft nicht mehr existent fühlt. Da seien zwar immer wieder gut gemeinte Angebote, wie neulich ein Brief der Krankenkasse. Die habe der Familie Hilfe angeboten, falls ihr Sohn seelisch unter der Pandemie leide. Sonja Wäger-Kuhn sagt: „Ich weiß leider nicht, was in der Seele meines Sohnes vorgeht. Er kann mir das nicht mitteilen.“ Lachen sei das Einzige, was er ohne Hilfe kann.

Bis zu einem Impftermin würde sich die Familie gedulden müssen; das war von Beginn der Impfkampagne an klar. Menschen mit geistiger Behinderung sowie ihre pflegenden Angehörigen gehören zu Prioritätsgruppe 2. Sie haben hohe, aber nicht höchste Priorität. Das gibt die Impfverordnung des Bundes vor, die in Hamburg rechtlich bindend ist.

Hamburg: Sie hatten Termine erhalten

Vor ein paar Wochen hatten die Eltern von Louis dann doch Hoffnung geschöpft. Seine Mutter beteuert, dass sie auf Entwürfe des Bundesgesundheitsministeriums hin der festen Überzeugung gewesen sei, dass ihr Sohn nun der Prioritätsgruppe 1 angehöre, ebenso ihr Mann und sie als pflegende Angehörige.

Nach einigen Telefonversuchen, so schildert es Sonja Wäger-Kuhn, hätten Louis, sie und ihr Mann Termine im Impfzentrum in Hamburg erhalten. Dort angekommen am 16. März, folgte allerdings bald die Enttäuschung.

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Am Aufnahmeschalter sei der Entwurf des Ministeriums als „vollkommen wertlos“ bezeichnet worden. Die Mitarbeiterin hätte gesagt, sie müsse das mit ihrem Vorgesetzten klären. Sonja Wäger-Kuhn berichtet von einer „hitzigen Diskussion zwischen vier Personen“ im Hintergrund. Deren Ergebnis: Louis und seine Eltern würden Prioritätsgruppe 2 angehören und hätten daher noch keine Impfberechtigung. Sie würden jedoch eine Härtefallentscheidung für Louis machen.

Im Gespräch mit MOIN.DE sagt Sonja Wäger-Kuhn, die Mitarbeiter im Impfzentrum seien sehr freundlich gewesen. Sie hätten nun mal ihre Regeln. Diese Regeln sind, was sie nicht verstehen kann. In einem emotionalen, vielbeachteten Beitrag hat sie ihre Erlebnisse aus dem Impfzentrum bei Facebook geschildert. „Wütend! Traurig! Frustriert!“ – mit diesen Worten beginnt der Beitrag.

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Sonja Wäger-Kuhn blieb hartnäckig. Inzwischen sind auch sie und ihr Mann das erste Mal geimpft. Auch wenn sie in der festen Überzeugung einen Termin vereinbart habe, dass er ihr auch zustehe, bleibe ein schlechtes Gewissen, wie sie sagt. „Wie kann das sein, dass ich als pflegende Mutter eines schwer mehrfach behinderten Kindes ein schlechtes Gewissen haben muss, weil wir jetzt geimpft sind?“

Hamburg: Jetzt dürfen pflegende Angehörige einen Impfermin vereinbaren

Künftig müssen pflegende Angehörige kein schlechtes Gewissen mehr haben. Es gibt gute Neuigkeiten für sie: Seit Donnerstagabend, 25. März, sind sie in Hamburg zur Corona-Impfung zugelassen. Angehörige oder Kontaktpersonen von Pflegebedürftigen dürfen jetzt einen Termin im Impfzentrum vereinbaren. Die entsprechenden Nachweise werden dort geprüft.

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Seit Anfang dieser Woche können Menschen mit Trisomie 21, geistiger Behinderung und schwerer Epilepsie einen Impftermin im Sengelmann Institut für Medizin und Inklusion (Simi) am Evangelischen Krankenhaus Alsterdorf vereinbaren. Auch Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren, die zu einer der genannten Gruppen gehören, werden dort geimpft.

Allerdings bleibt bei diesen Personengruppen weiterhin Geduld gefragt. Auf der Internetseite des Simi heißt es, der erste Impfstoff sei jetzt da sowie die Zusage von Seiten der Sozialbehörde, zunächst wöchentlich 50 Dosen geliefert zu bekommen. Allein auf der Warteliste stehen bereits 600 Impfberechtigte.

Hamburg: „Extrem wichtig, sich an die Impfreihenfolge zu halten“

Martin Helfrich, Sprecher der Hamburger Sozialbehörde, bestätigt auf Anfrage von MOIN.DE, dass Menschen mit einer geistigen Behinderung und ihre pflegenden Angehörigen Mitte März noch nicht zum Impfen aufgerufen waren. Härtefallentscheidungen im Impfzentrum seien in Absprache mit den Vorgesetzten dort möglich.

Allerdings betont Helfrich ausdrücklich, nur einen Termin zu vereinbaren, wenn einem dieser auch wirklich zustehe. „Es ist extrem wichtig, sich an die Impfreihenfolge zu halten.“ Nur dann komme der Schutz auch früher bei denen an, die ihn am nötigsten bräuchten. Werde die Reihenfolge nicht beachtet, verzögere sich alles noch mehr.

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Familie aus Hamburg ist mit ihrer Frustration nicht allein

Dass die Familie von Sonja Wäger-Kuhn mit ihrer Frustration über die bisherigen Impfregeln nicht allein ist, zeigt ein Anruf bei der Lebenshilfe. Der Verein setzt sich für die Anliegen von Menschen mit geistiger Behinderung und ihren Familien ein. Axel Graßmann, Geschäftsführer des Hamburger Landesverbandes der Lebenshilfe, sagt, er und sein Team hätten in der letzten Zeit täglich mehrere Anrufe von Eltern erhalten.

Sie könnten nicht verstehen, warum sie als pflegende Angehörige noch nicht geimpft werden durften. Wer zuhause pflegt, komme sich sehr nahe, sagt Graßmann. „Diese Eltern müssen ein hohes Risiko tragen.“ Insbesondere, da junge Kinder keine Corona-Impfung erhalten, sei es umso wichtiger, dass die pflegenden Angehörigen geimpft werden.

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