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Neumünster: Skandal um Pfleger und Chefarzt – dieser Leichtsinn toppt alles

Neumünster: Skandal um Pfleger und Chefarzt – dieser Leichtsinn toppt alles

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© IMAGO / imagebroker, IMAGO / MiS und picture alliance/dpa | Carsten Rehder

Verschwörungstheorien - warum sie in Krisen so viele Menschen anziehen

5G-Netze, Bill Gates, ein Laborunfall in Wuhan: Um den Ursprung von Covid-19 ranken sich zahlreiche Verschwörungstheorien. Für Experten ist das keine Überraschung. In Krisen geben sie einigen Menschen demnach zumindest ein Gefühl von Kontrolle zurück.

Etwa 300 Menschen gingen am Montag laut Angaben der Polizei in Neumünster zu einem sogenannten „Spaziergang“ als Protest gegen die geltenden Corona-Regeln oder die Impfpflicht auf die Straße. Die Zahl der Protestierenden wächst stetig – und auch eine verhältnismäßig kleine Zahl von 300 Teilnehmern ist im Vergleich zur Einwohnerzahl Neumünsters (80.000) garnicht so klein.

Im nur geringfügig größeren Flensburg waren es zuletzt auch schon mal 600 Menschen, die es auf die Straße trieb. Sie widersetzten sich den polizeilichen Verordnungen und wurden sogar von Anwohnern beworfen (MOIN.DE berichtete). In Neumünster wächst nicht nur die Zahl der Menschen auf der Straße, sondern auch derer, die sich online mit verschwurbelten Aussagen zu Wort melden.

Neumünster: Bedenklicher Aufruf

Besonders erschreckend ist das, wenn es sich um Pflegekräfte oder Ärzte handelt. Also jene Personen, die sich aufgrund ihrer Ausbildung und beruflichen Erfahrung eigentlich besser als der Normalbürger mit Impfungen auskennen sollten.

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Der Bundestag hat im Dezember eine Impfpflicht für das Gesund­heits- und Pflegepersonal ab dem 15. März beschlossen. Das radikalisiert einen kleineren Teil der Belegschaft deutschlandweit zusätzlich. Diesen Personenkreis interessiert es anscheinend nicht, was er in seiner Ausbildung gelernt haben müsste.

Dass es bei Impfstoffen keine Langzeitfolgen gibt, weil dieser nach einigen Wochen bereits wieder aus dem Körper entschwunden ist, findet dort oft kein Gehör. Genau so wenig wie der Fakt, dass neuartige mRNA-Stoffe wie jene von BioNtech und Moderna das Erbgut erwiesenermaßen nicht angreifen können und die gesundheitlichen Risiken einer Impfung insgesamt extrem gering sind.

Auch, dass man als ungeimpfte Pflegekraft ein deutlich erhöhtes Risiko hat, Patienten anzustecken, interessiert leider einige in der Berufsgruppe nicht.

Auf Facebook teilt eine Frau, die laut eigenen Angaben einen Bezug zu Neumünster hat und in einem Klinikum arbeitet oder arbeitete, öffentlich einen zweifelhafen Widerstands-Aufruf. Sie fordert darin „alle Kollegen im Gesundheitswesen“ auf, sich aus Protest gegen die Impfpflicht beim Arbeitsamt als arbeitssuchend zu melden.

Das wirre Kalkül dahinter: Wenn alle ungeimpften Arbeitskräfte dies täten, würde im Gesundheitswesen eine Situation entstehen, die sich auch „der selbstherrlichste Politiker“ nicht mehr schönmalen könnte. „Alleine schon der Gedanke an die Geldsummen, die für unser Arbeitslosengeld aufgewendet werden müsste, würde bei der Arbeitsagentur für Schnappatmung sorgen.“

Bis nach Neumünster vernetzt

Tatsächlich ist es eine reale Angst, dass ungeimpfte Pflegekräfte bald aus ihren Berufen ausscheiden und das System zusätzlich belasten könnten. Die Stiftung Patientenschutz befürchtet personelle Engpässe: „Verlassen nur zehn Prozent der schon heute hochbelasteten Beschäftigten ihren Beruf, werden 200.000 Pflegebedürftige keine professionelle Hilfe mehr erhalten können“, sagte Stiftungsvorstand Eugen Brysch.

Das Gesundheitsministerium in Schleswig-Holstein will auf Anfrage von MOIN.DE keine Einschätzung abgeben, wie hoch die Belastung durch fehlende Kräfte letztlich sein könnte. Nur so viel: „Jede Pflegekraft, die fehlt, stellt eine zusätzliche Belastung dar. Deswegen gibt es auf Bundes- und Landesebene zahlreiche Initiativen, um den Pflegeberuf attraktiver zu gestalten“, so Sprecher Marius Livschütz.

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Der Impfgegner-Aufruf an die Pflegekräfte ist einer von vielen in der Szene. Sie stammen meist von Menschen, die sich in ihre eigene Welt zurückgezogen haben. Die nicht dem Vertrauen, was die Mehrheit der Wissenschaftler und Experten sagt, sondern sich lieber an Falschinformationen einiger weniger klammern. Oft geht damit eine tiefe Abneigung gegen fast alles einher, was mit gängigen Medien und der Politik zu tun hat.

Die besagte Person mit Neumünster-Bezug bezeichnet die Bundesregierung als „krank“, ihr Facebook-Ehemann, der fleißig AfD-Beiträge teilt und das Grundrecht auf Asyl abschaffen möchte, als „faschistisch“. Er vermutet zudem, dass Ungeimpfte mit geringem Einkommen, die Bußgelder nicht bezahlen können, „ins Konzentrationslager“ kommen könnten.

Menschen aus Neumünster sammeln sich bei Telegram

Auch auf dem Messenger Telegram ist die Aufforderung zur Arbeitslos-Meldung an die Pflegekräfte zu finden. In einer Gruppe mit dem Namen „GemEINSam stark – JETZT“. Sie hat über 200.000 Abonnenten, fast 600.000 haben den Beitrag insgesamt gesehen.

Die Vernetzung ist gut organisiert, über die Hauptgruppe gelangt man je nach Postleitzahl in zahlreiche Untergruppen, darunter auch eine für die Regionen Neumünster, Kiel, Flensburg, Rendsburg-Eckernförde (etwa 600 Mitglieder). „Bin in der Pflege“, schreibt dort eine Frau, die sich für einen Beitrag interessiert, in dem es um einen Anbieter geht, der Impfunfähigkeits-Bescheinigungen für 17,49 Euro das Stück verkaufen soll.

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Das ist Neumünster:

  • Neumünster ist eine kreisfreie Stadt im Zentrum von Schleswig-Holstein.
  • Mit rund 80.000 Einwohnern ist Neumünster nach Kiel, Lübeck und Flensburg die viertgrößte Stadt des Bundeslandes.
  • Neumünster ist als Pferdestadt bekannt.
  • Zum ersten Mal wurde Neumünster 1127 als Augustiner-Stift „Wippenthorp im Gau Faldera“ urkundlich erwähnt.
  • Im Tierpark Neumünster leben auf 24 Hektar Fläche rund 700 Tiere.

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Eine Person aus Neumünster brüstet sich außerdem damit, seit dem „ersten Tag“ im Widerstand „gegen diese ganze Sache“ zu sein. „Hätten damals gleich viele Menschen mitgemacht, dann wäre es nicht so weit gekommen.“ Eine weitere Frau wiederum würde gerne ihre Kinder mit zu einem Montags-Protest-Spaziergang nehmen, hat aber aber Angst vor einem Eingreifen der Polizei und fragt deswegen andere Eltern nach Erfahrungen.

Auch fernab von „GemEINSam stark“ sammeln sich Menschen aus der Region in ähnlichen Gruppen. 230 Mitglieder hat jene mit dem Namen „Freies Neumünster“. Auch das ist, wie die Zahl der Spaziergänger in der Stadt, keine horrend hohe Zahl. Aber die Gruppe erhielt speziell seit letztem Montag deutlich mehr Zulauf.

Der im Eingang dieses Textes erwähnte Protest-Spaziergang gegen die Corona-Regeln mit 300 Personen wird in der Gruppe abgefeiert. Manche waren dabei, andere wollen „das nächste Mal“ vorbeischauen.

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Krankenhaus in Neumünster im Fokus

In Neumünster war in der Vergangenheit das zentrale Friedrich-Ebert-Krankenhaus wiederholt wegen gefälschter Impfpässe von Mitarbeitern in den Fokus geraten. Zuletzt sogar wegen eines Chefarztes, der zudem trotz Corona-Infektion und mit Erkältungssymptomen weitergearbeitet haben soll.

„Wir haben diesen Fall intern sorgfältig geprüft und ihn dann der Polizei gemeldet. Das Krankenhaus hat Strafanzeige gestellt“, sagte Sprecherin Maren von Dollen im Dezember dem NDR. „Vor einigen Wochen gab es bereits einen weiteren Fall. Wir haben ein Gespräch mit dem Mitarbeiter geführt – und das hat zur Selbstanzeige des betreffenden Mitarbeiters geführt. Inzwischen ist diesem Mitarbeiter fristlos gekündigt worden.“

Ministeriums-Sprecher Marius Livschütz sagt gegenüber MOIN.DE, Arbeitende in medizinischen Einrichtungen oder pflegebedürftige Menschen sollten „von sich aus ein hohes Interesse daran haben, sich impfen zu lassen. Deswegen muss der Staat, aber auch der Arbeitgeber und Kolleginnen und Kollegen durch Überzeugungsarbeit darauf hinwirken, Impfbereitschaft zu steigern – dort, wo dies notwendig ist.“

Wo das Ganze durch Verschwörungsmythen oder Radikalität jedoch nicht möglich sei, gebe es durch den Bundesgesetzgeber ein klares Regelwerk, dass das Ministerium grundsätzlich begrüße.

Ab Mitte März wird zu sehen sein, auf wie viele Menschen in der Pflege dies letztlicht tatsächlich zutrifft. (rg)